Für kritische Wissenschaft im Dienste von Gemeinwohl und Frieden
Der langjährige Präsident des ifo Instituts, Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, wird nach dem Willen des Präsidiums der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Universitätsgesellschaft die Festrede zur Eröffnung des akademischen Jahres 2018/19 am 18. Oktober 2018 halten. Diese Entscheidung ist auf undemokratischem Wege ohne Beteiligung von Universitätsgremien zu Stande gekommen.
Die Carl von Ossietzky Universität stand mit ihrer Geschichte immer für eine kritische Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Der Name der Universität bringt laut Grundordnung die Übereinstimmung mit den Prinzipien Ossietzkys zum Ausdruck: „Politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit, eine institutionell und soziokulturell verankerte demokratische Republik, eine Wissenschaft und öffentliche Wirksamkeit im Dienste von Gemeinwohl und Frieden.“ (Präambel der Grundordnung) Richtigerweise postuliert die Universität an vielen Stellen eine Wissenschaft für ökologische Verantwortung und Nachhaltigkeit, für Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe.
Die Universität lädt mit Hans-Werner Sinn aber einen Wissenschaftler ein, dessen Positionen, würden sie reale Politik, das genaue Gegenteil bedeuten: mehr ökologisch schädlicher Ressourcenverbrauch, soziale Ausgrenzung und mehr soziale Ungerechtigkeit. Zwar hat Herr Sinn in seinen wissenschaftlichen Analysen wichtige reale gesellschaftliche Problemkonstellationen untersucht und sie meist tiefgründiger bearbeitet als viele andere Volkswirte/innen. Er steht aber mit seinen politischen Vorstellungen wie kaum ein anderer Wirtschaftswissenschaftler für die neoliberale Ausrichtung der Gesellschaft: er hält Gewerkschaften und ihren Kampf um Mindestlöhne für schädlich, er steht für die stärkere Deregulierung des Arbeitsmarktes mit Absenkungen von sozialen Sicherungsniveaus und für Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose. Er lehnt die ökologisch orientierten Regulierungen als „ineffektiv“ ab, bezeichnet den deutschen Weg der Energiewende als Irrweg, er ist glühender Verfechter der Atomenergie und er will die Flüchtlingssituation zum Anlass nehmen, Löhne abzusenken. Durch viele seiner Diagnosen zieht sich ein Standortnationalismus, weil seine ökonomischen Vorschläge bei der Lohnpolitik, dem Euro, der Schuldenkrise oder der ökologischen Krise nur die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zum Ziel hatten. Die Migration osteuropäischer Arbeitskräfte nach Deutschland bezeichnet er z.B. als „fortwährenden Zustrom sogenannter schlechter Risiken“. Er fordert dagegen eine Immigration von Hochqualifizierten und nimmt damit den Fachkräfteabzug aus den Herkunftsländern in Kauf. Die von der Universität auf ihrer Webseite gepriesene Weltoffenheit sieht anders aus.
Wegen all dieser Positionen betrachten wir die Einladung Sinns zum Festredner als Fehler. Wenn an einer solchen Einladung festgehalten wird, wäre eine zusätzlich kontrovers angelegte Diskussionsveranstaltung mit Hans-Werner Sinn das Mindeste, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Universität stehe hinter seinen politischen Positionen. Zwar findet am selben Tag eine weitere hochschulöffentliche Veranstaltung mit Herrn Sinn statt, doch der Vorschlag zu einem ebenbürtigen Gegenpart zu Herrn Sinn wurde abgelehnt, so dass er nur eine weitere Bühne erhält. Wissenschaftliche Auseinandersetzung im Sinne einer „Wirksamkeit im Dienste von Gemeinwohl und Frieden“ (Präambel der Grundordnung) kann so nicht erreicht werden. Wir fordern die Universitätsleitung auf, zukünftig Personen als Festredner/in einzuladen, die für das Wissenschaftsverständnis stehen, das in der Präambel und der kritischen Tradition der Universität zum Ausdruck kommt.
Oldenburg, Oktober 2018
Erstunterzeichnende:
1. | Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA), Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
2. | DGB Region Oldenburg-Ostfriesland |
3. | Fachschaft Sustainability Economics und Management, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
4. | GEW Niedersachsen |
5. | IG Metall Oldenburg |
6. | IG Metall Wilhelmshaven |
7. | ver.di Betriebsgruppe, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
8. | Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V. (ALSO) |
9. | Andreas H. Schmidt, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
10. | Anke Schafft-Nielsen, GEW Niedersachsen |
11. | Antje Klinger, BIS Bibliothek, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
12. | Astrid Müller, GEW KV Osnabrück |
13. | Birgit Kürzel, ICBM, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
14. | Birgit Ostendorf, GEW Weser-Ems |
15. | Bi-Zahouli Zamblé, ver.di Oldenburg |
16. | Burkhard Schniesing, GEW Niedersachsen |
17. | Carsten Bauer, BIS Bibliothek ,Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
18. | Cornelia Kruse, GEW KV Norden |
19. | Dorothee Jürgensen, Geschäftsführerin, DGB Region Oldenburg-Ostfriesland |
20. | Dr. Alfred Mikschl, Department für Informatik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
21. | Dr. Andreas Hellmann, Fakultät VI, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
22. | Dr. Björn Witha, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
23. | Dr. Detlev Heinemann, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
24. | Dr. Gerd Gülker, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
25. | Dr. Jan Colja Beyer, GEW Bremen |
26. | Dr. Lüder von Bremen, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
27. | Dr. Martin Dörenkämper, Fraunhofer Institute for Wind Energy Systems, Oldenburg |
28. | Dr. Michael Hölling, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
29. | Dr. Uwe Kröcher, Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
30. | Eike Mayland-Quellhorst, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU), Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
31. | Elfie Feller, GEW KV Oldenburg-Stadt |
32. | Frauke Haunhorst, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
33. | Gundi Müller, GEW Niedersachsen |
34. | Günter Beyer, Referat Ausbildung, Fortbildung, Hochschulen und Forschung, GEW Niedersachsen |
35. | Hansjürgen Otto, ehem. Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
36. | Hasso Rosenthal, GEW KV-Leer |
37. | Hauke Hähne, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
38. | Heidi Zielke, Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
39. | Heiko Sterk, GEW KV Norden |
40. | Hendrik Heißelmann, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
41. | Herbert Czekir, GEW Landesfachgruppe Senioren |
42. | Hermann Rehdelfs, GEW KV Norden |
43. | Jan-Gerd Walter, BBS Norden |
44. | Jennie Auffenberg, Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
45. | Jens Tambke, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
46. | Jonas Eilinghoff, Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Nds. Nord |
47. | Jürgen Faber, GEW Niedersachsen |
48. | Karen Eberhard, GEW Niedersachsen |
49. | Kerstin Temmen, Fakultät I, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
50. | Klaus Bartsch, Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
51. | Laura Pooth, Vorsitz, GEW Niedersachsen |
52. | Lena Vorspel, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
53. | Malin Grajetzky, GEW Niedersachsen |
54. | Margit Teborg, Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
55. | Markus Glötzel, Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
56. | Martina Bruse, Geschäftsführung, IG Metall Oldenburg |
57. | Martina Müller, Präsidium, Referat PGR, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
58. | Michael Hehemann, Geschäftsführung, IG Metall Emden |
59. | Moses Kärn, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
60. | Natascha Beyer-Zamblé, GEW Niedersachsen |
61. | Patrick Frank, Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Nds. Nord |
62. | PD Dr. Tilman Hannemann, Fakultät IV, Institut für Philosophie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
63. | Peter Lilje, Vorsitz, GEW BV Hannover |
64. | Peter Nowak, Vorstand, GEW Norden |
65. | Petra Mende, Personalratsvorsitzende, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
66. | Prof. (apl.) Dr. Ulrich Ruschig, Fakultät IV, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
67. | Prof. (em.) Dr. Dietmar Seeck, Hochschule Emden-Leer |
68. | Prof. (em.) Dr. Helge Peters, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
69. | Prof. (em.) Dr. Hilbert Meyer , Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
70. | Prof. (em.) Dr. Klaus Klattenhoff, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
71. | Prof. Dr. Carsten Müller, Hochschule Emden-Leer |
72. | Prof. Dr. Christiane Brors, Department für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften,Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
73. | Prof. Dr. Dietmar von Reeken, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
74. | Prof. Dr. Ingo Mose, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
75. | Prof. Dr. Martin Kühn, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
76. | Prof. Dr. Reinhard Schulz, Institut für Philosophie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
77. | Prof. Dr. Thomas Breisig, Department für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
78. | Regina Grundmann, ICBM, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
79. | Reinhard Samusch, Vorstand, GEW KV Norden |
80. | Renko Buhr, Institut für Physik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
81. | Roland Schörnig, GEW Weser-Ems |
82. | Rüdiger Heitefaut, GEW Niedersachsen |
83. | Rudolf Aelker, GEW KV Norden |
84. | Sali Nolte, GEW Niedersachsen |
85. | Sönke Volkmann, Bezirksvorsitz, GEW Braunschweig |
86. | Stefan Störmer, Vorsitz, GEW Weser-Ems |
87. | Sven Rößler, Fakultät I/Personalrat, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
88. | Thomas Schneeberg, Personalrat/Fakultät I, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg |
89. | Wencke Hlynsdóttir, Vorsitz, GEW Weser-Ems |
Hier unterzeichnen http://asta-oldenburg.de/protest-sinn/
Zitate von Hans-Werner Sinn:
„Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser.“(Sinn in der Süddeutsche vom 24. Oktober 2007)
„Ihr Nachbar ist pleite. Gehen Sie dann aus Sympathie auch pleite?“ (Sinn zur Griechenlandrettung 2011, in der ARD-Sendung „Hart aber fair“)
„Leider hat sich Deutschland mit seinem Ausstiegsgesetz zum Geisterfahrer in der Welt gemacht.“ (Hans-Werner Sinn zum Atomausstiegsgesetz in seiner Polemik „Das grüne Paradoxon“ (2008))
„Je niedriger der Lohn, desto mehr Arbeit ist da.“ (Sinn im Chrismon von März 2006)
„Die wahren Spekulanten waren die Regierungen der Krisenländer. Sie haben darauf gesetzt, dass wir sie freikaufen, wenn sie pleite sind.“ (Sinn im Interview mit der Süddeutschen Zeitung nach der Debatte über die Schuld der Finanzmärkte, 2012)
„Die Entrüstung über die Gesetze des Kapitalismus ist müßig. Auch wenn diese Entrüstung die Fallgesetze beträfe, hätte Gott dafür nur ein müdes Lächeln übrig.“ (Sinn auf eine Rede von Franz Müntefering, SPIEGEL Online, 13. April 2005)
„In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.“ (Sinn zur Wirtschafts- und Finanzkrise im Tagesspiegel vom 27. Oktober 2008)]
„Wir können diese Willkommenskultur nicht fortsetzen, indem wir sagen, Bürgerkriegsflüchtlinge, egal woher, nehmen wir auf. Dazu ist Afrika mit seinen 1,1 Milliarden Menschen zu groß, und dazu gibt es dort zu viele Bürgerkriege.“ (Sinn in DIE WELT vom 3. März 2016)
„Wenn man genug Zöllner parallel arbeiten lässt, gibt es keine Staus. Die Zöllner sind billig. Wir reden hier über einen winzigen Bruchteil dessen, was die Flüchtlinge kosten. Grenzkontrollen heißen doch nicht, dass man die Grenzen schließt. Nur entscheidet der deutsche Staat, wen er hereinlässt.“ (Sinn in DIE WELT vom 3. März 2016)
„Sozialstaaten können ihre Versicherungsfunktion nur dann ausführen, wenn das Versicherungskollektiv – also die Bürger des Staates – nicht durch den fortwährenden Zustrom sogenannter schlechter Risiken belastet wird. Das ist ein Thema, das ich bereits in den 1990er-Jahren in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Aufsätzen beleuchtet habe, weil es damals wegen des Falls des Eisernen Vorhangs eine Migrationswelle aus Osteuropa gab und es mich interessierte, wie man mit diesen Migrationen ökonomisch betrachtet am besten umgeht.“ (Sinn auf seiner Homepage am 31.03.2018, http://www.hanswernersinn.de/de/TichysEinblick_31032018)
Auf die Frage „Sollen die Gewerkschaften also höhere Löhne durchsetzen?“ antwortet Herr Sinn: „Nein, wenn die Löhne aufgrund der besseren Binnenkonjunktur steigen, ist es gut. Wenn sie steigen, weil die Gewerkschaften oder der Staat sie künstlich hochtreiben, kriegen wir eine Stagflation, also eine kostengetriebene Inflation, und eine Flaute mit mehr Arbeitslosigkeit. Die hilft niemandem. Wenn wir die Selbstkorrektur der Kapitalmärkte nicht behindern würden, käme alles ins Lot.“ (Zeit, 14.11.2013)
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