Warum gehen freitags so viele Schüler und Schülerinnen für den Klimaschutz auf die Straße? Was treibt sie an? Wie arbeiten die Aktiven?
Luzie Richter und Johann Bartz sind bei der Fridays For Future- Bewegung in Leer in Ostfriesland dabei. Im Interview mit Stefan Störmer, das kurz vor dem Aktionstag vom 15. März geführt wurde, berichten sie von ihrer Arbeit.
Stefan: Luzie, Johann, was macht ihr bei Fridays For Future?
Luzie: Ich bin zunächst quasi als Kontaktstelle für die „Die Grünen“ gestartet und bringe mich jetzt als lokale Organisatorin für die Fridays For Future- Ortsgruppe Leer ein.
Johann: Du regelst halt den E-Mailverkehr und versuchst, Kontakte zwischen den verschiedenen Umweltverbänden aufzubauen.
Luzie: Genau.
Johann: Ich war vor ein paar Wochen mit ein paar Freunden in Oldenburg bei einer Demo. Dort haben wir die Idee gefasst, dass wir auch in Leer eine Ortsgruppe gründen. Zusammen mit Patrick Baumann organisiere ich die Aktionen vor Ort. Ich melde zum Beispiel die Demonstrationen an.
Ich bin auch Delegierter für Leer. Das bedeutet, dass ich die Infos, die deutschlandweit von Delegierten in einer WhatsApp-Gruppe abgesprochen werden, an die Ortsgruppe weiterleite. Damit soll verhindert werden, dass kein kleiner abgekapselter Bereich entsteht, sondern wir auch zu der großen Bewegung dazugehören.
Stefan: Die Ortsgruppe ist ein loser Verbund von Leuten in Leer?
Johann: Richtig. Grundsätzlich geben wir die Infos in WhatsApp-Gruppen weiter. Da finden sich alle Infos: Wann eine Aktion beginnt, ob noch Ordner gebraucht werden usw. Dann gibt es auch noch eine kleinere Organisationsgruppe, in der dann unter anderem Luzie, Patrick und ich mit ein paar anderen drin sind. Das sind häufig auch Vertreter der verschiedener Schülervertretungen. Es gibt keine Mitgliedschaft, man tritt der WhatsApp-Gruppe bei, um an die Infos zu gelangen.
Luzie: Es ist prima, dass jeder mitmachen kann und dass es auch so einfach ist. Durch das Beitreten in die Gruppe ist man schon mitten im Geschehen. Jeder kann sich so viel engagieren, wie er möchte und dementsprechend helfen.
Stefan: Leidet darunter nicht ein wenig die Zuverlässigkeit? Werden die Aufgaben, die verteilt werden, auch wirklich übernommen?
Luzie: Ich finde, dass wir eine gute Zusammenarbeit haben. Da wir alle an dem Thema interessiert sind, sind wir auch bereit, Aufgaben zu übernehmen. Es liegt uns eben am Herzen. Wenn jemand sagt “Kannst du zu der oder der Partei gehen und mit denen reden“, dann wird das auch von dem, der das als erstes liest, erledigt. Darauf kann man sich eigentlich immer verlassen.
Stefan: Was war eure Motivation, Euch bei Fridays For Future einzubringen? Bei dir, Luzie, habe ich schon herausgehört, dass du bei den Grünen aktiv bist.
Luzie: Ja, ich bin schon, seitdem ich klein bin, an Klimapolitik interessiert. Ich habe eine gewisse Angst vor dem Klimawandel. Als ich dann von dieser Schülerdemo gehört habe, war ich sofort angetan.
Stefan: Und bei dir, Johann?
Johann: Bei mir ist es so, dass mein Bruder mich, ich würde fast schon sagen sozialistisch erzogen hat. Dementsprechend kommt meine Motivation eher aus dem sozialen Sektor. Der Klimawandel beeinflusst ja auch das Soziale. Ich bin dann eher aus dem Standpunkt der sozialen Gerechtigkeit dazugekommen. Ich habe mit meinen Freunden schon immer recht viel über Politik diskutiert. Jetzt auch, als das Phänomen Greta aufkam.
Da haben wir drüber gesprochen. Ein paar von uns fanden das klasse und wollten auf eine Demo gehen. Als wir dann auf einer waren, haben wir gemerkt, dass wir das in Leer auch brauchen. Die Bewegung verdient noch mehr Aufmerksamkeit.
Stefan: Du hast Greta jetzt gerade schon genannt. War sie ein wichtiges Initial, sozusagen der Funke, der das Feuer entfacht hat?
Luzie: Bei mir war es so, dass ich als erstes von den Fridays for Future – Demos gehört hab. Ich hab dann auf YouTube ein Video einer Rede von Greta gesehen. Die fand ich super. Ich konnte gar nicht fassen, dass das so ein kleines Mädchen alles alleine macht. Ich würde aber nicht sagen, dass sie für mich der Funke war. Ich möchte keinen Personenkult und sehe sie auch nicht als Anführerin.
Johann: Würde ich auch so sagen. Sie hat natürlich dafür gesorgt, dass die Massen sich in Bewegung setzen. Trotzdem wird bei Fridays For Future versucht, dass es nicht nur dieses eine Gesicht gibt, hinter dem wir alle herlaufen, sondern, dass es eine Bewegung der Basis bleibt. In Deutschland ist es mittlerweile so, dass es auch hier bekannte Gesichter gibt. Da ist zum Beispiel Luisa aus Berlin und Jakob, der aus Kiel kommt. Wir versuchen dem entgegenzuwirken, indem z. B. die zwei nicht die Delegierten für Deutschland sind. Das machen wieder andere, deren Gesichter eben nicht so bekannt sind. Es ist wichtig, dass auf Demos nicht nur die Gesichter von Einzelpersonen gezeigt werden, sondern der ganze Zug.
Stefan: Du sprichst immer von Delegierten. Wie wird man das? Und was macht man da? Ich kenne Delegierte aus der Parteiarbeit. Diese werden von ihren Ortsverbänden gewählt, kommen dann in den Kreisverband. Und dort wird dann wieder gewählt und so weiter. Wie ist das bei euch?
Johann: Das funktioniert recht ähnlich. Dadurch, dass ich Mitbegründer in Leer war, habe ich anfangs in der noch recht kleinen Gruppe gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich das übernehme Da gab es jetzt keine wirkliche Wahl. Es sind also immer zwei Personen, ich bin dort mit einer weiteren Delegierten. Jetzt wo die Gruppe größer ist, müssen wir noch einmal eine Wahl machen. Bei den nationalen Delegierten, die dann auf internationaler Ebene arbeiten, funktioniert das auch so.
Stefan (zu Luzie): Okay. Und du machst das nicht?
Luzie: Nein. Ich war zu spät.
Johann: Das kann sich aber ja noch ändern.
Stefan: Wie weit musst du fahren, wenn ihr Delegiertentreffen habt?
Johann: Wir machen das per WhatsApp. Dort haben wir verschiedene Gruppen. Hier gibt es die Infos, die man dann an die Ortsgruppen weiterleitet. Wir haben auch kein Stimmrecht bei Abstimmungen, sondern sind sozusagen ein Bindeglied. Wir geben also Informationen weiter und initiieren die Abstimmungen zu verschiedenen Themen. Wir haben jeden Sonntagnachmittag eine Telefonkonferenz, um Dinge schneller als bei WhatsApp besprechen zu können.
Stefan: Wieviel Zeit investiert ihr pro Woche?
Luzie: Ich mache ja nicht so viel wie Johann, aber bin sicher im Schnitt pro Tag eine Stunde dabei. Ich schreibe dann Mails oder gehe zu Parteien und rede mit denen.
Johann: Dadurch, dass in den Delegiertengruppen recht viel geschrieben wird, hat man schnell mal 2000 Nachrichten auf dem Handy, die gelesen werden wollen. Zu denen will man auch natürlich was sagen. Allein für eine Telefonkonferenz gehen gut zwei Stunden am Sonntag drauf. Das ist schon anstrengend. Manchmal gibt es auch spontane Konferenzen. Besonders dann, wenn es etwas Neues gibt. Die dauern dann meist nur eine Stunde. Man muss trotzdem in dem Moment bereit sein, sich dafür Zeit zu nehmen. Andere Pläne werden dann gecancelt. Zur Zeit gehe ich gefühlt fast täglich zum Rathaus, um mit den Ordnungsamt zu sprechen. Bei mir sind es so zwei bis drei Stunden pro Tag.
Stefan: Du organisierst jetzt hier die Demo am 15.03. in Leer? Du sorgst also dafür, dass die ordnungsgemäß angemeldet ist. Machst du das alleine?
Johann: Mit Patrick zusammen. Patrick ist der Versammlungsleiter, also derjenige, der gesetzlich haftbar ist, und ich bin derjenige, der die Demo angezeigt hat. Wir sind immer zusammen zum Ordnungsamt gegangen. Da er etwas entfernt wohnt, mache ich die meisten Botengänge. Er hat dafür einige Ordner organisiert. Nur dadurch, dass er momentan im Abistress ist, macht er etwas weniger und ich eben mehr. Ich musste beispielsweise neue Ordner finden, was gar nicht so einfach ist.
Stefan: Ich würde jetzt gerne zum Inhaltlichen kommen. Ihr habt einen Begriff aufgenommen, der sehr umstritten ist. Ihr redet ja vom Klimawandel…
Luzie: Willst du darauf anspielen, dass der Klimawandel an sich ja etwas ganz normales ist?
Stefan: Nein. Es wird diskutiert, dass der Begriff „Klimawandel“ ein Sieg der Leute ist, die eine Klimaveränderung leugnen. Der korrekte Begriff wäre „Klimakatastrophe.“ Wandel meint einen langsamen Prozess. Alles wandelt sich ja ganz unmerkbar. Das Wort „Klimawandel“ gilt deswegen als ein euphemistischer Begriff.
Aber wenn ich euch richtig verstanden habe, geht es euch um ein Ereignis, bei dem ihr das Gefühl habt, dass das Maß voll ist oder?
Luzie: Ja.
Stefan: Gab es bei euch einen konkreten Anlass, bei dem ihr gemerkt habt, dass ihr etwas tun müsst?
Johann: Ein ganz profanes Beispiel ist zum Beispiel der letzte Sommer. Hier in Leer hat man normalerweise schon Glück, wenn es Mitte Juni 20 Grad sind, letztes Jahr waren es bis an die 40 Grad. Das hat man schon gemerkt, dass da was nicht stimmt. Die ganzen Gärten waren schon im Juni oder Juli komplett vergilbt.
Luzie: Oder heute, als es plötzlich geschneit hat.
Johann: Genau. Wir hatten ja dieses Jahr auch schon 20 Grad im Februar und im März schneit es plötzlich wieder, das ist ja ein Zeichen, dass etwas gehörig falsch läuft.
Luzie: Allgemein war das bei mir damals so -und das klingt vielleicht ein bisschen kindisch-, dass ich, als ich noch sehr jung war, mit meiner Schwester einen Film gesehen habe, in dem das Thema Naturkatastrophen behandelt wurde. Meine Schwester hat mir danach erzählt, dass sowas wirklich passieren kann und dass es auch Hinweise gibt, nach denen die Welt untergehen soll.
Stefan: War das diese Al Gore Geschichte?
Luzie: Nein, das war „The Day After Tomorrow“. Das Gefühl hat sich dann noch weiter gesteigert, weil ich sehr jung bei den Grünen angefangen habe, die sich ja auch immer auf diese harten Fakten beziehen. Ich habe immer mehr gemerkt, dass es eigentlich schon nicht mehr 5 vor 12, sondern eher 10 nach 12 ist und ich etwas dagegen tun möchte.
Stefan: Aber ein konkretes Bild habt ihr nicht? Der Eisbär auf der Scholle zum Beispiel?
Johann: Das hat man ja relativ oft gesehen. Als ich noch klein war, habe ich sehr oft „logo“, also diese Kindernachrichtensendung auf KIKA, gesehen. Da gab es dann auch öfter Bilder von abgebrochenen und einstürzenden Eisbergen. Das fand ich auch schon krass.
Luzie: Bei mir war es die Vorstellung von der Trennung von meiner Familie, die mir Angst macht. Wie in dem Film: Da sucht der Vater seine Kinder. Ich fand das sehr schlimm, als sich sein Leben durch die Katastrophen so stark verändert.
Stefan: Angenommen, ihr werdet von Passanten auf Eure Aktivitäten angesprochen, die Euch sagen, dass sie es toll finden, wie sehr ihr Euch für das Weltklima einsetzt. Und im nächsten Satz erklären sie, dass sie nicht verstehen, warum ihr das nicht in Eurer Freizeit, sondern in der Schulzeit macht. Was würdet ihr denen sagen?
Luzie: Diese Frage wird mir von Erwachsenen oft gestellt. Ich versuche dann jedes Mal zu erklären, dass wir gehört werden wollen. Es ist in Deutschland nunmal leider so, dass Jugendliche nicht wirklich respektiert werden, was das Politische angeht. Man will zwar immer, dass sich die Jugendlichen engagieren, aber man wird dann nicht ernstgenommen. Wenn wir jetzt aber die Schule schwänzen, werden wir plötzlich ernstgenommen. Nur durch diese Besonderheit unserer Bewegung ist das Thema überhaupt in die Nachrichten gekommen. Nur durch den Streik bekommt es überhaupt so viel Aufmerksamkeit.
Johann: Ich wurde von Familienmitgliedern und Freunden meiner Eltern auch darauf angesprochen. Ich sage dann immer: Wenn wir zum Beispiel immer am Samstagnachmittag streiken würden, dann würde vielleicht einmal drüber berichtet werden. Danach interessiert es niemanden mehr. Es gibt ja diese Sichtweise, dass die Jugendlichen heute kein Interesse an Politik hätten, sowieso nicht wählen gehen würden. Jetzt, wo etwas getan wird, heißt es dann „Die wissen ja gar nicht, wovon sie reden!“. Viele loben uns zwar für unsere Zivilcourage, aber das Thema Klimawandel wird trotzdem nicht richtig behandelt. Merkel lobt die Jugendlichen für ihren Einsatz, gleichzeitig versucht die Union aber das Klimaschutzgesetz zu kippen. Und so geht das immer Hand in Hand. Auf der einen Seite wird gesagt: „Toll, dass ihr das macht!“ Auf der anderen Seite steht aber kaum jemand hinter den Forderungen und versucht, etwas zu ändern.
Stefan: Nach den Umfragen findet die Hälfte der Bevölkerung es gut, was ihr macht. Die andere Hälfte reagiert dagegen ablehnend und sagt: „Die sollen mal lieber zur Schule gehen, schwänzen geht gar nicht.“
Luzie: Ja, es gibt halt die Schulpflicht Aber manchmal muss man Regeln brechen, um etwas zu erreichen.Im Endeffekt leiden wir ja darunter, dass wir nicht zur Schule gehen. Wir gehen ja in die Schule, um etwas zu lernen, um uns auf unsere Zukunft vorzubereiten. Wir müssen nachher mit den Konsequenzen leben. Wenn wir jetzt Unterrichtsstoff verpassen oder einen unentschuldigten Fehltag auf dem Zeugnis haben, dann leiden wir ja darunter. Deswegen ist es auch unsere Entscheidung, ob wir bereit sind, diese Konsequenzen zu tragen.
Johann: Man könnte also fast sagen, dass wir unsere Zukunftschancen in dieser Gesellschaft für eine bessere Klimapolitik opfern.
Luzie: Um überhaupt eine Zukunft zu haben.
Johann: Ja, genau.
Stefan: Christian Lindner hat ja gesagt, dass es besser wäre, so komplizierte Themen „Profis zu überlassen“. Schüler und Schülerinnen sollten erstmal die Gesamtzusammenhänge erfassen, indem sie Mathe, Physik, Naturwissenschaften in den Schulen lernten. Wenn ihr jetzt die Chance hättet, was würdet ihr ihm antworten?
Johann: Ich würde ihm sein Wahlplakat vom letzten Wahlkampf vor Augen halten. Da steht drauf:„Schulranzen ändern die Welt, nicht Aktenkoffer“.
Luzie: Zudem bin ich mir ziemlich sicher, dass bei anderen Streiks auch nicht unbedingt Experten am Werk sind. Wir werden in der 10. Klasse sehr gut über den Klimawandel aufgeklärt. Sowohl im Englischunterricht als auch in Erdkunde und im Biounterricht haben wir das Thema angeschnitten. Das wird also fächerübergreifend angesprochen. Ich finde, dass wir sehr gut informiert sind. Vor allem auch, weil wir uns dafür interessieren und dementsprechend auch recherchieren.
Johann: Es wird auch dazu beigetragen, dass das Thema in der Schule behandelt wird. Mir hat gestern ein Mädchen aus der 12. Klasse geschrieben und nach Informationen gefragt, weil sie im Unterricht ein Referat über Fridays For Future und Klimaschutz halten wollte.
Luzie: Man belehrt sich im Prinzip gegenseitig.
Stefan: Findet das auch in der Institution Schule statt oder eher in euren Gruppen innerhalb der Bewegung?
Johann: Ich wurde am Wochenende von einem Lehrer angeschrieben, der einen Artikel gelesen hatte und dachte, der könnte mich auch interessieren. Es gibt viele Lehrkörper, die das super finden ,was wir machen. Dass wir aufstehen und uns für unsere Zukunft einsetzen.
Luzie: Ich glaube, in der Schule wird er Klimawandel von einem neutralen Standpunkt aus erklärt. Also was es mit dem Treibhauseffekt und Emissionen und so weiter auf sich hat. Im Freundeskreis und innerhalb dieser Bewegung werden dann aktuelle Sachen besprochen. Auch, was Politiker dazu sagen. So etwas passiert im Unterricht eben nicht, wahrscheinlich, weil es dann nicht mehr politisch neutral wäre.
Stefan: Man kann große Kausalitäten aufbauen. Durch die Verwüstung von ganzen Landstrichen gibt es beispielsweise Anlass für Fluchtbewegungen, weil die Menschen nicht mehr ihren Regionen leben können. Wird so etwas im Unterricht behandelt?
Johann: Nein.
Luzie: Ich bin noch zusätzlich in einer Arbeitsgemeinschaft, die sich mit genau mit diesem Thema befasst. Das sind die Jills. Es gab es auch letztens eine Ausstellung in der Sparkasse. Da geht es eben um die Integration von Flüchtlingen an unserer Schule. Wir behandeln auch die Gründe, warum Menschen flüchten. Man muss also noch zusätzliches Interesse haben.
Stefan: Wie sollte die Schule reagieren?
Johann: Ich würde mir wünschen, nicht nur von einzelnen Schulen, sondern generell, dass wir ein Streikrecht hätten. Zur Zeit bekommen wir von den Lehrern oft mit einem Augenzwinkern gesagt, dass es ja die Schulpflicht gebe und wir das eigentlich gar nicht dürften. Die finden es ja eigentlich auch gut, was wir machen.
Luzie: Ich stimme dir da nicht zu. Ich finde nicht, dass wir das Recht haben sollten, zu streiken, weil ich glaube, dass viele das ausnutzen würden. Nicht alle haben das Verantwortungsbewusstsein. Ich würde mir von der Schule dennoch etwas mehr Zuspruch wünschen. Manche Schüler trauen sich nicht, die Schule zu schwänzen. Dazu sollen uns die Lehrer natürlich nicht ermutigen. Man sollte aber keine Angst haben, für seine Zukunft einzutreten.
Stefan: Spürt ihr Ängste bei euren Mitschülern und Mitschülerinnen?
Luzie: Auf jeden Fall. Viele meiner Mitschüler trauen sich nicht am Freitag zu der Demonstration zu gehen, obwohl sie dahinter stehen, weil sie einen bestimmten Lehrer haben, von dem sie in unangenehmer Weise darauf angesprochen werden, der Eltern kontaktiert, Terror bei der Schulleitung macht etc.
Johann: Ein Junge aus unserer Gruppe wollte gerne mitdemonstrieren, aber hätte zuhause von seinen Eltern großen Ärger bekommen, wenn er deswegen die Schule geschwänzt hätte. Wegen solcher Fälle haben wir dann den Kompromiss gefunden. Die Demo geht bis 14 Uhr, sodass einige Leute auch noch nach der Schule kommen können. Ein Problem ist auch , dass diejenigen, die etwas schwächer in der Schule sind, sich nicht trauen, in der Schulzeit zu den Demos zu kommen. Die haben Angst, etwas zu verpassen und dann bei Klausuren schlecht auszusehen.
Stefan: Theoretisch können doch auch Lehrkräfte, die gerade eine Freistunde haben, bei euch mitlaufen oder?
Johann: Gerne.
Luzie: Gerne, ich würde mich auch darüber freuen. Ich weiß nicht, ob Lehrer außerhalb ihrer Unterrichtszeit sowas unterstützen dürfen, aber ich würde es sehr cool finden.
Stefan: In diesen Wochen werdet ihr von Politikern und Politikerinnen aller Coleur ja über den grünen Klee gelobt. Darunter sind auch die Verantwortlichen, die gerade die Gesetze machen. Ich denke zum Beispiel an Angela Merkel, die euch und euer Engagement in ihrem Podcast ja sehr gelobt hat. Der Bundespräsident genauso. Ist euch das manchmal unheimlich?
Johann: Ich finde es -ehrlich gesagt- abstoßend, dass diese Menschen unsere Bewegung darauf reduzieren, dass wir überhaupt was machen, und nicht wirklich darauf schauen, weswegen wir das machen. Es redet kein Politiker darüber, warum wir überhaupt angefangen haben.
Luzie: Bei den Politikern aus meiner Partei finde ich es natürlich gut, wenn sie uns unterstützen, weil ich es denen auch wirklich abkaufe. Den anderen kaufe ich es nicht mehr unbedingt ab, da sie zum Teil in der Vergangenheit erstmal ihre Abneigung ausgedrückt hatten. Und jetzt folgt auf einmal die komplette Zustimmung. Ich erhoffe mir ein bisschen, dass sie einen gewissen Respekt vor uns bekommen, weil sie sehen, wie viele wir sind und was für einen Willen wir haben. Wir sind auch eben die Generation, die sie bald wählen soll. Vielleicht wollen sich manche auch nur nicht unbeliebt machen, aber das fände ich sehr schwach.
Stefan: Greta hat das ja so formuliert, dass die Jugend auf die Straße geht, um den Älteren mal sagen zu können: „Wir wollen nicht, dass ihr unsere Zukunft versaut.“Meint ihr, das trifft auf die gesamte Bewegung zu, oder ist das eher eine Teilbewegung? Ihr werdet in eurem Bekanntenkreis ja bestimmt nicht nur Menschen haben, die das gut finden, was ihr macht. In dem Moment, wo ihr euch positioniert, erzeugt ihr ja Reaktionen.
Johann: Es wird uns vorgeworfen, dass alles eine Bewegung des oberen Drittels ist, dass nur Gymnasiasten mitlaufen und es den anderen egal ist. Dem versuchen wir gezielt entgegenzuwirken, indem wir auch an den Haupt- und Realschulen gefragt haben, ob Interesse besteht.
Stefan: Und?
Johann: Patrick, der Mitorganisator, hat an einer Hauptschule in Rhauderfehn angefragt. Die Schüler haben dann gesagt, sie würden gerne kommen, aber sie wissen nicht so viel darüber. Deswegen haben sie Patrick dann gefragt, ob er da mal für einen kleinen Vortrag hinkommen könnte und erklären kann, worum es genau geht. Das hat er getan und ein Großteil der Schule steht dahinter.
Stefan: Was mir aufgefallen ist, dass, wenn man sich mit dem Thema Klimakatastrophe auseinandersetzt, das primäre Ziel relativ klar ist: Runter mit dem CO2-Austoß. (Luzie und Johann nicken) Aber in der Antwort auf die Wie-Frage sind sich nicht alle einig. Ist das ein potentieller Spaltpilz? Denn man kann ja sehr verschiedene Wege gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Man könnte zum Beispiel sagen: Alle Braunkohlewerke werden durch Atomkraftwerke ersetzt. Wird über sowas bei euch schon diskutiert?
Johann: Ja.
Stefan: Wie läuft so etwas ab?
Johann: Atomkraftwerke sind in Bezug auf das Klima zwar von den Emissionen her rücksichtsvoller. Da gibt es aber das Problem mit der Endlagerung und das ist nicht lösbar. Da gibt es dann Menschen, die sagen, man könnte den Atommüll ja einfach ins Weltall schießen. Es folgt das Gegenargument, wenn das so einfach wäre, würde das längst gemacht werden. Will man es riskieren, dass die Rakete beim Start explodiert und die ganze Erde verseucht? Nach Fukushima gab es den Beschluss, Atomkraftwerke zu schließen, da diese zu unsicher seien. In der Folge gab es Diskussionen, es sei doch besser ein paar sichere Atomkraftwerke auf einem hohen Standard hier in Deutschland zu haben, anstatt Atomstrom aus Frankreich und Belgien zu beziehen, wo veraltete Werke laufen. Die würden uns, wenn sie kaputt gingen, genauso betreffen.
Luzie:Ich würde mich freuen, mal mit richtigen Experten über solche Dinge zu reden. Mich interessiert, warum vieles nicht umgesetzt wird. Beispiel Nahverkehr. Leer ist da typisch: Ostfriesland ist so weitläufig und es ist fast unmöglich, mit dem Bus zu einer Freundin zu fahren, die nicht in der Stadt wohnt. Selbst wenn der Nahverkehr wie in größeren Städten ausgebaut werden würde, würde das wahrscheinlich nicht funktionieren, da alles überlaufen wäre. Das würde wahrscheinlich ein großes Chaos geben.
Stefan: In einigen Industrienationen klappt das gut. Im Ballungsraum Tokio funktioniert es wunderbar mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Dort leben mehr Leute als in Berlin und Hamburg zusammen. Das ist wahrscheinlich alles eine Frage der Investitionen.
Luzie: Ich glaube auch, dass sehr viel Geld in die Hand genommen werden müsste. Ich weiß, dass in Japan die Leute sich teilweise zu so vielen in die Bahn pressen, dass die Türen nicht mehr schließen. In Indien und China sitzen die Leute teilweise oben auf den Zügen. So kann das ja auch nicht laufen. Ich glaube, dass die Schwarze-Null-Politik ruhig mal ein bisschen leiden darf, damit der Nahverkehr vernünftig ausgebaut wird.
Stefan: Was sind Eure ganz konkreten Wünsche für die Klimapolitik?
Johann: Kohleausstieg, so bald wie möglich. So bald wie möglich heißt 2030, am besten sogar schon 2025. Vermutlich ist das sehr unrealistisch, es wäre aber für das Klima deutlich besser. Ausbau der ÖPNVs und eine attraktive Gestaltung, damit dieser von mehr Leuten genutzt wird. Und eine höhere Steuer auf Inlandsflüge, damit man nicht nur, weil man gerade Lust hat, von Berlin nach Neumünster fliegt.
Stefan: Ist ja oft auch billiger als mit der Bahn.
Johann: Genau. Es kann nicht sein, dass man für 7€ von Bremen nach Mallorca fliegen kann, die Strecke Leer Köln mit der Bahn aber 70€ kostet. Die vielen Verspätungen der Bahn und die Überfüllung der Züge, macht eine Fahrt damit unattraktiv. Da fährt man lieber zwei Stunden mit dem Auto anstatt drei Stunden am kalten Bahngleis zu warten.
Luzie: Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen mehr zusammenarbeiten. Es ist nun mal so, dass der Klimawandel ein globales Problem ist. Es gibt viel zu viele Länder, die für das Thema noch nicht sensibilisiert sind. Zumindest die Länder in der EU sollten zusammenarbeiten. Es gibt so viele kluge Köpfe. Ich wünsche mir auch, dass, wenn es neue innovative Ideen gibt, nicht versucht wird, daraus Profit zu schlagen. Es sollte kein Wettstreit entstehen. So weit ich weiß, hat die EU im Pariser Abkommen das Ziel formuliert, dass die Wirtschaft nicht darunter leiden soll, wenn verstärkt für den Klimaschutz gearbeitet wird. Ich finde aber, dass die Wirtschaft schon mal ein bisschen leiden darf. Wir haben so einen Wohlstand, davon darf man ruhig ein wenig aufgeben, um der Zukunft eine Chance zu geben.
Stefan: Wie stellst du dir ein solches Europa vor? Energie muss ja irgendwo erzeugt werden.
Luzie: Ich finde, jedes Land hat seine Stärken: Es gibt zum Beispiel einige Gebiete in Europa, die ideal für Windkraft sind. Mit neuen Leitungen könnte man den Strom dorthin transportieren, wo er gebraucht wird.
Stefan: Ich erlebe es oft, dass viele Menschen den regenerativen Energien offen gegenüberstehen. Aber sobald es dann konkret wird, wenn das Windrad irgendwo stehen muss, dann gibt es Ärger. Bei der Planung der Stromtrassen ging es dann darum, ob es überirdische Hochspannungsleitungen geben soll oder alles unterirdisch verlegt werden sollte.
Johann: Ich wollte noch zu der vorherigen Frage sagen. Luzie hat gesagt, dass die Wirtschaft nicht unbedingt geschont werden muss. Ich finde, dass das komplette System falsch ist. Momentan ist es so, dass der Bürger und das Klima der Wirtschaft dienen muss. Das ist der falsche Ansatz. So können wir die Welt nicht ändern, außer zum schlechteren. Es wäre doch eine viel erstrebenswertere Gesellschaft, in der die Wirtschaft dem Klima dienen würde. Wenn also nicht die Autolobby ein Tempolimit ablehnt und damit durchkommt, weil sie viel Geld hat.
Stefan: Es wird häufig von politischen Philosophen behauptet, dass die kapitalistische Idee, die auf Wachstum und Konsum aus ist, einer nachhaltigen Umweltpolitik im Wege steht. Würdet ihr das auch so sehen?
Luzie: Auf jeden Fall.
Johann: Ja.
Luzie: Ganz ehrlich, unsere Politik ist so sehr darauf ausgerichtet, aus allem Gewinn zu erzielen und bloß keine Verluste zu machen.
Johann: Wachstum steht über allem.
Luzie: Genau. Ich habe teilweise das Gefühl, dass es immer im Vordergrund steht, die Wirtschaft zu erhalten, und dass dabei die Klimapolitik komplett vernachlässigt wird.
Stefan: Konsum ist ja immer auch eine Sache des Einzelnen. Man könnte ja auch einfach sagen: Ich mache das nicht mit. Dann kauft man sich eben nicht die neueste Kleidung oder das neueste Smartphone, wenn das alte noch gut ist. Das ist ja auch ein hoher Ressourcen- und Energieverbrauch. Wäre das eine Lösung für euch?
Johann: Das hat ein Freund von mir auch gesagt: Der geht nicht zu den Streiks, weil er meint, wir würden uns genauso konsumorientiert verhalten. Aber das Ding ist ja, selbst wenn man einen Teil der Bevölkerung dazu bekommen würde, sich keine SUV, nicht jedes Jahr ein neues Smartphone zu kaufen, würde dies das Problem nicht beheben. So funktioniert nun mal die Gesellschaft. Wenn man nicht die neuesten Sachen hat oder seit drei Jahren dieselben Schuhe trägt, wird man schnell ausgegrenzt.
Luzie: Ich denke auch. Wirtschaft ist natürlich wichtig, damit wir weiter so leben können, wie wir jetzt leben. Unser Hauptziel ist ja, dass sich unser Leben nicht komplett verändern muss. Ich finde trotzdem, dass man die Wirtschaft etwas hinten anstellen und mehr Geld für das Klima ausgeben sollte. Das kann ja auch beides zusammen funktionieren, aber dazu muss man erstmal etwas investieren, damit man davon auch wirtschaftlich profitieren kann.
Stefan: Wenn ich das richtig verstanden habe, möchtet ihr, dass sich möglichst wenig verändert. Für eine nachhaltige und ökologische Entwicklung muss man aber vermutlich sein Kosumverhalten schon irgendwie anpassen: Zum Beispiel könnte man weniger Fleisch essen.
Luzie: Ich glaube, dass man diese Welt nur ändern kann, indem man auf seinen Luxus verzichtet. Das ist wohl leider nicht umsetzbar. Dazu bekommt man die Menschen nicht. Es gibt zu viele Menschen, die auf ihren Luxus beharren. Ich muss ehrlich sagen: Ich kann mir auch bei vielen Dingen nicht vorstellen, sie aufzugeben.
Johann: Ich glaube, wenn wir jetzt fordern würden, dass weniger Fleisch gegessen wird, dann wären mehr Leute auf die Plan gerufen, die auf ihr Steak beharren, als wir jetzt mit unserer Bewegung zusammenhaben.
Stefan: Damit haben „Die Grünen“ ja ihre Erfahrungen. Ich erinnere an die Idee des Veggie-Days. Viele Leute hatten das als Einmischung in die persönliche Lebensführung gesehen.
Johann: Das muss, finde ich, nicht sein. Aber man sollte sich bewusst machen, dass man den Klimawandel nicht stoppen kann, wenn man nicht bereit ist, ein Opfer zu bringen. Und wenn das bedeutet, die 100 Meter zum Supermarkt nicht mit dem Auto zu fahren.
Luzie: Ich halte so etwas wie den Veggie Day auch nicht für sinnvoll. Man sollte die Bürger nicht zu etwas zwingen, sondern ihnen ihre Freiheit lassen und sie motivieren, dass sie von sich aus Interesse zeigen und etwas beitragen. Das sollte der Staat dann unterstützen.
Stefan: Wie geht es für euch nach der Demo am 15. März weiter? Das Thema ist dann ja nicht vorbei.
Johann: Die nächste Demo wird geplant.
Luzie: Und auch Zwischenaktionen. Eine Aufräumaktion zum Beispiel. Da soll in einem bestimmten Bereich, also beispielsweise im Julianenpark, aufgeräumt werden. Wir sammeln Müll. Solche Aktionen sollen öfter stattfinden. Auf diese Weise zeigen wir uns auch mal anders und werden vielleicht nicht nur als die schwänzenden Schüler wahrgenommen, sondern als diejenigen, die sich für die Umwelt einsetzten.
Stefan: Das passiert dann in der Freizeit?
Johann: Das passiert in der Freizeit, zum Beispiel an einem Samstag. Da trifft man sich dann vormittags im Park, räumt auf und diskutiert danach bei schönem Wetter noch etwas und verbringt vielleicht noch einen schönen Tag in dem dann sauberen Park. Es gibt auch noch andere Aktionen, zum Beispiel die Critical Mass. Dabei fährt man mit mindestens 16 Fahrrädern in einem Verband und nimmt dann auch eine komplette Straßenspur ein. Das soll zeigen, dass man sich mit Fahrrädern auch sehr gut fortbewegen kann. Wir haben auch mit Peer Leader International gesprochen und überlegt, an die Schulen zu gehen und Workshops anzubieten.
Luzie: Genau, es soll eben über die Fridays For Future – Aktionen hinausgehen. Es soll jetzt auch einige Aktionen von den Grünen geben. Da konnte ich auch einige von den Fridays For Future -Leuten dafür gewinnen, dort mitzumachen.
Johann: Ich finde auch, dass Klimawandel nicht nur Thema bei einer Partei sein sollte, sondern dass alle Parteien vereint etwas zu dem Thema beitragen müssen.
Stefan: Erlebt ihr das auf lokaler Ebene in dieser Weise?
Johann: Ich hatte die SPD angesprochen, als die einen Stand in der Stadt hatten. Die haben sich sehr interessiert gezeigt und auch konkret gesagt: Wir stehen als Partei hinter euren Forderungen. Wir möchten mehr Infos, was ihr genau macht und so weiter. Wir arbeiten eben mit der SPD, den Grünen und einzelnen Leuten aus der Jungen Union zusammen. Es gibt zum Beispiel einen Delegierten aus Ravensburg, der in der Jungen Union ist und auch Streiks organisiert. Damit stellt er sich praktisch gegen die eigene Politik. Viele Jugendorganisationen von Parteien sind der Meinung, dass sich an der eigenen Parteipolitik etwas ändern muss. Sie folgen eben nicht blind.
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