… in den Alltag einer Berufsschullehrerin –

Inga Voß, Lehrerin an der BBS Melle und Mitglied im SBPR

Nein, falsch – … in den Alltag einer „Lehrerin an Berufsbildenden Schulen“.


Aber warum hier so kleinlich sein? Ist das nicht das Gleiche? Nicht wenige Menschen denken, wenn sie Berufsbildende Schulen hören oder etwas darüber lesen, an die Berufsschule. Aber berufsbildende Schulen umfasst so viel mehr. Es heißt ja „berufsbildende Schulen“ – und die „Berufsschule“ ist nur eine von zahlreichen Schulformen, die sich an berufsbildenden Schulen finden lässt. Das fängt bei der Berufseinstiegs-schule an, die von Schülerinnen mit erhöhtem Förder-bedarf zum Erreichen beruflicher Reife besucht wird, und hört beim beruflichen Gymnasium nicht auf – und natürlich ist auch immer noch die sog. „Berufsschule“ an berufsbildenden Schulen zu finden. Die Berufsbildenden Schulen in Melle, an der ich seit 2002 tätig bin, bildet als sog. „Bündelschule“ in ca. 25 Berufen aus. Bündelschule bedeutet, dass die Schule mehrere berufliche Fachrichtungen beherbergt. Von der Bautechnik bis zur Wirtschaft & Verwaltung gibt es mehr als 12 Fachrichtungen, gebündelt in vier Abteilungen. Das hat natürlich Auswirkungen auf den beruflichen Alltag. Als Bauzeichnerin hatte ich mich seinerzeit nicht für ein Architekturstudium, sondern bewusst für ein Studium des „Lehramt an berufsbildenden Schulen“, in meinem Fall berufliche Fachrichtung Bautechnik und dem Unterrichtsfach Englisch entschieden. Wenn man mich heute fragt, warum ich Lehrerin geworden bin, dann ist meine Antwort in der Regel: „Weil ich mich für Menschen interessiere“ – und das ist keine Floskel.So facettenreich, wie die berufsbildenden Schulen, so vielseitig gestaltet sich dann auch der berufliche Alltag der Lehrkräfte. Die jüngsten Schülerinnen an unserer Schule sind etwa 16 Jahre alt und die ältesten als Umschülerinnen oder „spätberufene“ Fachschülerinnen mitunter Mitte 40. Man kann davon ausgehen, dass Heterogenität, nicht nur auf das Alter bezogen, der Regelfall ist. Jede Klasse hat andere pädagogische Herausforderungen parat.
Mein Unterrichtstag, den ich exemplarisch beschreiben möchte, ist ein Freitag. Er steht stellvertretend für den Alltag einer jeden Lehrkraft an berufsbildenden Schulen.
Vor der Zeit meiner Arbeit im Schulbezirkspersonalrat war donnerstags mein „Berufsschultag“ – als Klassenlehrerin einer Zimmerer-/Ausbaufach-arbeiterklasse. Das liegt zwar schon eine Weile zurück, aber ich erinnere das noch sehr gut. 19 Auszubildende, ausschließlich junge Männer, 8 Unter-richtsstunden am Stück. Die ersten beiden Stunden Deutsch- oder Politikunterricht, die weiteren Stunden Unterricht in den Lernfeldern, wie z.B. „Einbauen einer Gaube und eines Dachflächenfensters“. Hier bin ich „Berufsschullehrerin“. Als Lehrerin vermittle ich hier keine „Fächer“ wie Fachkunde oder Fachmathematik, sondern ich organisiere Lernprozesse anhand von Lernsituationen.
Praxisnah, das ist wichtig. Der Donnerstag war ein verhältnismäßig „einfacher“ Tag, denn ich musste mich bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung wenigstens nur auf eine Gruppe einstellen.
Anders der Freitag. Auch wieder 8 Stunden Unterricht. In den ersten beiden Stunden steht Englisch in der Berufseinstiegsklasse auf meinem Plan.
14 junge Männer, nur einer mit einem (nicht so guten) Hauptschulabschluss, den er tatsächlich in dieser Schul-form verbessern könnte. Die anderen bisher ohne Schulabschluss. 10 mit Migrationshintergrund, was nicht das Problem ist – das Problem liegt eher darin begründet, dass sich diese 10 schon seit der Grundschule kennen und man möglicherweise recht gut daran getan hätte, den einen oder anderen für die weitere schulische Laufbahn voneinander zu trennen ☺.

Morgens um acht Uhr ist noch keiner dieser „Jungs“ so richtig wach – und sie für das Fach Englisch („Englisch brauche ich nicht!“) zu motivieren scheint fast unmöglich. Eine Herausforderung, die das gesamte Portfolio an Kreativität und Methodik erfordert. Ich nenne das „pädagogisch herausfordernd“, hier geht es nicht allein um Stoff- oder Kompetenzvermittlung, sondern auch darum, den Schüler*innen eine positive Schulerfahrung zu ermöglichen, damit sie in ihrer weiteren beruflichen und persönlichen Laufbahn „Schule“ nicht nur mit negativen Erlebnissen verbinden, sondern offen dafür bleiben etwas zu lernen.

So etwas geht nur mit viel gegenseitigem Respekt und Achtung und einer gut eingeführten positiven Unterrichtskultur. Jeder Unterrichtsstörung liegt eine Ursache zugrunde. Diese Ursache kann ich respek-tieren, aber das daraus resultierende Verhalten natürlich nicht.

Die BBS Melle ist gut aufgestellt, was die pädagogische Konzeption und die Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit betrifft. Hier und auch innerhalb der Lehrkräfteteams in diesen Klassen, wird sich gegenseitig gut unterstützt. Aber auch meine eigene Tagesform ist für den Unterrichtserfolg in diesen Klassen mitentscheidend.

In der 3./4. Stunde geht es mit Englisch bei den Medizinischen Fachangestellten im ersten Lehrjahr weiter. Diesmal 17 junge Frauen.
Die Eingangskompetenzen sind hier sehr gemischt. Es gibt Schülerinnen, die kaum in der Lage sind, einen einzigen Satz in Englisch zu bilden, aber auch Abiturientinnen, die sich möglicherweise in meinem Unterricht langweilen könnten. Zumindest ist den jungen Frauen in dieser Klasse bewusst, dass es für die persönliche oder auch telefonische Kommunikation mit Patient*innen nicht schaden kann, zumindest Grundkenntnisse in Englisch parat zu haben. Der Unterricht ist entsprechend praxis-orientiert aufgebaut.

In allen Berufsschulkassen haben die Inhalte im Englischunterricht einen Berufsbezug, die der Kompetenzvermittlung dienen.

5./6. Stunde Englisch in Klasse 12 der Fachoberschule Wirtschaft. Wir arbeiten gerade an einem Projekt, an dessen Ende die Teams eine gut ausgearbeitete Marketing-Kampagne in englischer Sprache einer Jury präsentieren müssen. Meine Hauptaufgabe heute ist, die Teams während ihrer Arbeit zu betreuen und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Zurücklehnen kann ich mich dabei nicht.

Nun noch die 7./8. Stunde. Die Industriekaufleute haben im zweiten Lehrjahr nur noch eine Stunde Englisch – also alle zwei Wochen eine Doppelstunde. Unterrichtsbeginn um 13:25 Uhr bedeutet mitunter „Mittagsschlafmodus“ bei den Schüler*innen nach einem bereits anstrengenden Schultag. Hier ist wieder meine volle „Präsenz“ bei der Unterrichtsdurchführung gefragt, aber auch ich habe ja schon 6 Stunden in den Knochen.

So herausfordernd der Berufsalltag an der BBS auch sein mag, so spannend ist er auch. Ich empfinde es als Privileg, junge Menschen ein Stück weit in ihrem schulisch-/beruflichen, aber auch persönlichen Fort-kommen begleiten zu dürfen – wie erfolgreich mein Wirken auch sein mag – „… weil ich mich für Menschen interessiere“ – und das ist keine Floskel.