Die Berichterstattung über das Zustandekommen der Großen Koalition in Niedersachsen hat ein Thema völlig überlagert: Am 16.11. übergab der Leiter der Arbeitszeitkommission (AZK) Richard Höptner der derzeit noch amtierenden Kultusministerin Frauke Heiligenstadt einen zwanzigseitigen Sachstandsbericht aus der Arbeit dieses Gremiums. Und dieser Text hat es durchaus in sich:
Zur Erinnerung: Die Rechtssprechung zu den Klagen der GEW hatte der Landesregierung auferlegt, eine neue Arbeitszeitverordnung zu entwickeln, die empirischen Kriterien standhält. Grundlage soll die beamtenrechtliche Verpflichtung für eine 40-Stunden-Woche bilden.
Das Kultusministerium ist diesem Auftrag mit der Einrichtung einer Kommission aus Arbeitswissenschaftlern, Bildungsexperten und -praktikern gefolgt, die einen Vorschlag für eine neue Arbeitszeitverordnung entwickeln soll. Im ersten Jahr ihrer Arbeit ging es vor allem darum, die empirischen Befunde zu sichten, zu ordnen und zu bewerten. Der nun vorliegende Bericht fasst die Ergebnisse zusammen.
Die fast dreitausend Kolleg*innen, die an der Arbeitszeitstudie der GEW teilgenommen haben, dürften zufrieden sein: Die AZK hat diese wissenschaftliche Arbeit gesichtet und als wesentliche Grundlage ihrer weiteren Arbeit definiert. Der Aufwand hat sich also gelohnt.
Bei der Bewertung der Ergebnisse der Arbeitszeitstudie gab es im Expertengremium allerdings unterschiedliche Auffassungen. Unstrittig jedoch sind folgende zwei Befunde:
1. Die AZK erkennt an, dass die Gesamt-Belastungssituation für Lehrkräfte in den Grundschulen, Gymnasien und Gesamtschulen zu hoch ist. Für diese drei Schulformen konnte die GEW Studie repräsentative Ergebnisse liefern.
2. Teilzeitlehrkräfte in den genannten Schulformen überschreiten ihre wöchentliche Arbeitszeit deutlich.
Die AZK empfiehlt daher der Landesregierung als schnell wirkende Maßnahme, durch die Zuweisung von Anrechnungsstunden an den oben genannten Schulformen für Entlastung zu sorgen. Die Situation an den Schulformen, für die keine repräsentativen Daten vorliegen, sollte möglichst bald wissenschaftlich untersucht werden.
Die Göttinger Arbeitszeitstudie hat der Kommission sehr differenziertes Datenmaterial an die Hand gegeben. Insofern verwundert es nicht, dass einige Fragestellungen noch nicht abschließend geklärt sind. So ist offen, wie die Unterschiede in den Tätigkeitsprofilen zwischen teilzeitbeschäftigten und Lehrkräften in Vollzeit erklärt werden können. Nach Dafürhalten etlicher Arbeitswissenschaftler liegt hier ein deutlicher Hinweis auf das Vorhandensein eines Deckeneffekts vor. Dabei stoßen Lehrkräfte in Vollzeit (VZK) bei ihrer tatsächlich geleisteten Arbeitszeit an eine Belastungsgrenze, bei deren Überschreiten auch eine gesundheitliche Gefährdung zu erwarten ist. Der Wert von 46 Stunden und 38 Minuten, den eine VZK in den Unterrichtswochen arbeiten muss, um das Ziel einer 40-Stunden-Woche im Jahresmittel zu erreichen, liegt nicht mehr weit von dem Wert von 48 Stunden entfernt, den die Europäische Arbeitsschutzrichtlinie als potenziell gesundheitsgefährdend einstuft.
Aus diesem Grunde ist es wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil der Teilzeit-Kolleg*innen ihre Unterrichtsverpflichtung reduziert haben, um ihrem eigenen Qualitätsanspruch Genüge zu tun.
Das Expertengremium hat sich zur Aufgabe gemacht, den vermuteten Deckeneffekt in den nächsten Wochen und Monaten näher zu untersuchen.
Die Tatsache, dass bereits in einem Sachstandsbericht konkrete Entlastungen empfohlen werden, ist durchaus erstaunlich. Offensichtlich sind die Daten der GEW-Studie so belastbar, dass ein weiteres Warten nicht sachgerecht wäre. Die Tatsache, dass auch im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU im Land bereits die zusätzliche Altersermäßigungsstunde ab 55 Jahren vorgesehen ist, zeigt ebenfalls eindrucksvoll, dass sich der Aufwand für Arbeitszeiterhebung gelohnt hat. Denn die Tatsache, dass die zeitliche Belastung mit zunehmenden Lebensalter in Schule wächst, ist ebenfalls ein Befund im Sachstandsbericht.
Die neue Landesregierung tat gut daran, dieses Projekt sofort auf die Agenda zu setzen. Jetzt müssen Taten folgen.
Der Sachstandsbericht ist hier zu finden:
2017.11.15_Sachstandsbericht_Arbeitszeitlehrkraefte_RZweb
Weitere Infos auf der Landesseite:
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