Die ehemalige Kultusministerin Frauke Heiligenstadt stellte in ihrer Amtszeit spezielle Zusatzbedarfe an öffentlichen allgemein bildenden Schulen zur Verfügung. Diese waren für Schulen in sozialen Brennpunkten vorgesehen sowie für Schulen, die einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufwiesen. Zudem erhielten Grundschulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit dem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Emotionale Entwicklung ebenfalls zusätzliche Anrechnungsstunden.
Auch wenn dies ein Tropfen auf den heißen Stein war, so konnte es doch als deutliches Zeichen verstanden werden, dass die Herausforderungen für diese Schulen gesehen wurden. Auf diese Weise investierte das Kultusministerium auch in Zeiten des Lehrkräftemangels in Qualität – auch wenn nicht alle Zusatzbedarfe durch sonderpädagogisches Personal abgedeckt werden konnten und daher mit Ressourcen der Regelschullehrkräfte aufgestockt wurden.
Jedes Jahr wurden entsprechende Schulleitungen zu einem Stichtag Mitte Januar aufgefordert bzw. daran erinnert, ihre Bedarfe zu ermitteln und zu melden, damit die Stunden bereitgestellt werden konnten.
Im 1. Halbjahr 2016/17 beispielsweise waren das in Niedersachsen 870 Lehrkräfte-Soll-Stunden für Schulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, 650 Stunden für Schulen in besonderen sozialökonomischen Brennpunkten und 1130 Stunden für Grundschulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit dem Förderbedarf ESE.
In diesem Jahr fiel die Erinnerung aus. Keine schriftliche Aufforderung erreichte die Schulleitungen, um die oben genannten Zusatzbedarfe zu ermitteln und einzureichen.
Schulleitungen, die von sich aus daran dachten, suchten die entsprechenden Vordrucke im Netz auf der Seite der Landesschulbehörde vergebens. Dort waren sie nicht mehr zu finden.
Kultusminister Grant Hendrik Tonne hat es mit der besonderen Situation des Lehrkräftemangels bzw. der schlechten Unterrichtsversorgung zu tun. Offensichtlich will er sich daran messen lassen, wie schnell er die Unterrichtsversorgung wieder Richtung der 100 % – Marke bewegt.
Die einzelnen Maßnahmen auf dem Weg dorthin sind zum Teil fragwürdig.
- Flexibilisierung des Quereinstiegs – ohne an die weitere Qualifizierung zu denken,
- Streichung der vorschulischen Sprachförderung durch Grundschullehrkräfte – ohne Rücksicht auf ausreichend qualifizierte Erzieherinnen,
- Streichung der o.a. Zusatzbedarfe – ohne die zahlreichen Überlastungsanzeigen ernst genommen zu haben.
Natürlich erhöhen derartige Maßnahmen die Unterrichtsversorgung. Mittelfristig aber werden wir erleben, dass noch mehr Bildungsverlierer*innen in unserem Schulsystem produziert werden. Dort, wo Investitionen in Qualität am nötigsten sind, werden Ressourcen abgezogen. Dort, wo gesellschaftlich Benachteiligte eine Chance auf Zukunft durch gute Bildung hätten, werden Unterstützungsbedarfe gestrichen. Und dort, wo die Belastungen der Lehrenden an der Grenze und über der Grenze hinaus sind, werden Zuschläge zur Lehrerstundenzuweisung gekürzt.
Langfristige Konsequenzen werden von schlechter werdenden PISA- Ergebnissen über eine weiter auseinanderklaffende Bildungsschere bis hin zu einem Anstieg von Burnouts und Frühpensionierungen unter Lehrkräften reichen.
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