… in den Alltag einer Grundschullehrerin

– die für eine Stunde Ermäßigung auch noch eben den Vertretungsplan macht…

Die Arbeit beginnt, wie an eigentlich jedem Tag, schon bevor ich den Schulhof betrete. Die Mutter eines Kindes fängt mich gleich ab, um von der aktuellen Situation zu Hause zu berichten. Die Informationen sind wichtig für die Arbeit in der Klasse und müssen an die Schulleiterin, die Kolleg*innen und den Schulbegleiter weitergegeben werden. Im Mitarbeiter*innenzimmer angekommen geht es gleich weiter: zwei Kolleginnen haben sich krankgemeldet und die Klassen müssen entsprechend versorgt werden. Die Entscheidung, ob die Klassen geteilt werden oder der DAZ-Unterricht aufgelöst wird, muss schnell getroffen und kommuniziert werden. Die Absprache mit den Fachlehrkräften über ein Kind mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf muss auch noch vor dem Beginn der ersten Stunde erfolgen. Die Förderschullehrkraft kommt nur an zwei Tagen, allerdings wird das Material online zur Verfügung gestellt. Leider funktioniert das Internet nicht immer in der Schule und so entsteht öfter mal die spannende Frage, ob das Dokument ausgedruckt werden kann. Bevor die erste Stunde beginnt, spricht mich noch die Kollegin aus der Ganztagsbetreuung an und berichtet über einen Streit zwischen Kindern, der noch aufgearbeitet werden muss.
Mit Beginn der ersten Stunde fehlen noch ein paar Kinder, bis auf ein Kind sind alle entschuldigt, es wird also noch zu klären sein, warum keine Abmeldung vorliegt. Kein Kind darf vermisst werden. Gerade in der Grundschule ist das Thema „Verhalten gegenüber Fremden“ sehr wichtig und wird immer wieder in den Klassen angesprochen. Die Antwort auf die Frage „Was mache ich, wenn mich eine fremde Person anspricht“ muss für alle Schüler*innen klar sein. Mit einiger Verspätung betritt das „vermisste“ Kind den Klassenraum und entschuldigt sich. Als Klassenlehrerin weiß ich über die häusliche Situation Bescheid. Für viele Kinder in der Grundschule ist es schwierig, wenn die Eltern früh zu Arbeit müssen und sie dann allein aufstehen, frühstücken und sich auf den Weg zur Schule begeben müssen. Leider nimmt auch dieser Zustand zu.
Nach 45 Minuten geht es in die nächste Klasse, Mathematik im Jahrgang 1. Hier braucht es eine andere Ansprache als im dritten Jahrgang. Die Sechsjährigen brauchen einige Zeit bis sie sich organisiert haben. Ein Kind kann das Hausaufgabenheft nicht finden, ein anderes muss dringend zur Toilette, das nächste hat die Materialien vergessen,… Bis alle fertig sind, dauert es etwas. Ein Kind ist seit Kurzem in der Klasse und verfügt über wenig Deutschkenntnisse, die Kinder aus der Ukraine werden von einer Schulbegleiterin unterstützt, die auch die Sprache spricht. Ein echter Glücksfall für alle, denn so wird die Arbeit für und mit den Kindern wesentlich vereinfacht. Die Erstklässler nehmen das Frühstück in der Klasse ein, das bedeutet für mich als Lehrerin Obst zu schneiden, umgekippte Flaschen aufzuwischen und kleine Gespräche zu führen. Die Kinder sind oft sehr mitteilsam und so erfährt man viel über Großeltern, Haustiere oder Wackelzähne.
In der dritten und vierten Stunde unterrichte ich dann in der eigenen Klasse, es gab Streit in der Pause, ich verweise die Kinder auf den Klassenrat am Freitag, um alles in Ruhe zu besprechen, denn wir müssen inhaltlich weiterkommen. Die Kinder mit Förderbedarf sollen zieldifferent unterrichtet werden, das ukrainische Kind braucht eine Aufgabe in sehr einfacher Sprache und so habe ich trotz mehrerer unterschiedlich vorbereiteter Aufgaben wieder das Gefühl, den Kindern nicht gerecht zu werden, da ich allein in der Klasse bin, aber an mehreren Stellen Fragen zu beantworten sind und einige Kinder ohne Unterstützung nicht weiter arbeiten können. Trotzdem ist die Atmosphäre gut, die Lernzeit von vielen genutzt und ich beruhige mein schlechtes Gewissen.
So vergeht der Tag…   

Die Aufgaben, die jede Lehrkraft von uns an den Grundschulen in Niedersachsen zu bewältigen hat, werden gefühlt jedes Jahr mehr. Wir reden hier von Klassenleitung, Verwaltungsaufgaben, Unterrichtsvor- und nachbereitung, Korrekturen und Durchsicht von Schüler*innenarbeiten, Elterngespräche, Team- und Jahrgangssitzungen, Planung von Einheiten samt Materialzusammenstellung, Fortbildungen, Gremienarbeit, Email- und persönliche Kontakte zu Eltern, Absprachen mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ganztag, den Schulbegleitungen, Therapeut*innen, Ämtern und Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, Ausfüllen von Berichten und Anträgen, Erstellen von Konzepten, Planung von Projektwochen, Klassenfahrten, Ausflügen, …
Ohne ein gutes Classroom Management, absolute Disziplin und eine sehr gute Organisation des Alltags ist die Arbeit in der Grundschule nicht mehr zu schaffen.
Ich unterrichte an einer der 370 Schulen in Bezirk Weser-Ems, die aufgrund der Größe keinen Anspruch auf eine Konrektor*innen-stelle hat. Das ist jede zweite Grundschule. Für die Organisation des Vertretungsunterrichts erhalte ich eine Anrechnungsstunde, die kleinen Grundschulen ohne ständige Vertretung zusteht.
Für die Betreuung von Studierenden im ASP gibt es keine Entlastung, für Studierende im GHR 300 erhalte ich immerhin 22,5 min pro Woche. Da ich dieses Halbjahr 2 Studierende betreue, planen wir für 2 Klassenstufen unterschiedliche Themen. Die Zeit, die mir dafür angerechnet wird, reicht für die Vor- und Nachbereitung bei weitem nicht aus. Trotz hoher Motivation, guter fachlicher Ausbildung fragen sich die beiden: Wie soll man es schaffen, auf Dauer 28 Stunden pro Woche zu unterrichten? Wie soll das gehen bei der Fülle an Aufgaben, unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten der Kinder und immer heterogen werdender Lernvoraussetzungen? Als Konsequenz daraus beantragen viele Kolleg*innen Teilzeit. Sie verzichten auf Gehalt und Pensionsansprüche, um die Arbeit in der Grundschule bewältigen zu können. Das kann nicht im Sinne des Arbeitgebers sein. Das Land Niedersachsen bzw. das Kultusministerium muss endlich die Regelstundenzahl der Grundschullehrkräfte reduzieren und für eine echte Entlastung sorgen. Vielleicht würden dann wieder mehr Kolleg*innen es schaffen, eine volle Stelle auf Dauer durchzuhalten.

Michaela Langnickel