Zentrale Vorhaben der Koalitionsvereinbarung sind klar formuliert: 1.000 zusätzliche Lehrerstellen, Entfristung der bereits geschaffenen 1.000 Stellen für die Sprachförderung (S. 10), jährlich 150 zusätzliche Stellen zum Ausbau der schulischen Sozialarbeit an allen Schulformen, stufenweise Einführung des kostenfreien Schülerverkehrs im Sekundarbereich II (S. 12).
Zahlreiche Aussagen zu wichtigen Themenbereichen sind recht allgemein gehalten. Das haben Kompromisspapiere so an sich. Die Koalitionspartner zeigen in diesen Vereinbarungen aber, in welche Richtung ihre Politik gehen soll, aber auch wohin sie gehen kann.
Lehrkräfte: Arbeitsbelastung und Besoldung
In den sieben Zeilen zur Arbeitszeit der Lehrkräfte gibt es keine eindeutige Aussage.
Positiv ist zumindest, dass die Ergebnisse der Arbeitszeitkommission und der Arbeitszeitstudie der GEW „eine Grundlage“ (S. 8) der Untersuchung der Belastung von Lehrkräften und Schulleitungen sein soll. Die Koalitionäre „streben die Erarbeitung einer neuen Arbeitszeitverordnung für Lehrkräfte an.“ (S. 9) Eine klare Absichtserklärung klingt anders! Und in welche Richtung es gehen soll, bleibt völlig offen. Kein Wort von Senkung der Regelstundenzahl oder Erhöhung der Zuweisung von Anrechnungsstunden.
„Dabei soll berücksichtigt werden, dass Lehrkräfte über 55 Jahre eine zusätzliche Entlastung erhalten.“ Auch sehr allgemein, obwohl im Wahlkampf zumindest die Aussagen der SPD die Wiedereinführung der Alterermäßigung versprachen.
Entlastung für die Lehrkräfte soll es offensichtlich eher über Reduzierung der „fachfremden Aufgaben“ (S. 9) geben, wofür den Schulen „Verwaltungsmitarbeiter, pädagogische Mitarbeiter, Schulsozialarbeiter und weiteres qualifiziertes Personal“ (S. 9) zur Verfügung gestellt werden sollen. Das ist gut, ersetzt aber keinesfalls die Reduzierung der Arbeitszeit.
Interessant kann das Modellprojekt für den Einsatz von Verwaltungsleitungen an großen allgemein bildenden Schulen werden, das Althusmann schon in seiner Zeit als Kultusminister ins Auge gefasst hatte. Wann und in welchem Umfang die Regierung diesen Versuch „auf den Weg bringen“ will, bleibt allerdings unklar.
Eine Besoldungserhöhung auf „mindestens A 13“ wird zuerst allein unter dem Aspekt versprochen, dass insbesondere an Grundschulen Schulleitungen fehlen (S. 9). Sodann soll ein „Stufenplan“ zur Überarbeitung der Besoldungsstruktur entwickelt werden, der die „Veränderung in der Lehrerausbildung“ berücksichtigt, also die Tatsache, dass inzwischen alle Lehramtsstudierenden mindestens zehn Semester studieren. Und was wird mit der Anpassung der Besoldung der Bestandslehrkräfte?
Auch zu diesem Thema gab es von der SPD deutlich klarere Ansagen (A 13 für alle!). Hier hat offensichtlich die CDU die Feder geführt. Das Ganze klingt jetzt eher nach Sankt Nimmerleinstag!
Unterrichtsversorgung
In der zurückliegenden Legislaturperiode und im Wahlkampf war die Unterrichtsversorgung das ganz große Thema. Die Opposition hat die Praxis der rot-grünen Landesregierung immer kräftig kritisiert. Sie hatte dabei zumeist interessierte Elternverbände, den Philologenverband und fast geschlossen die Presse hinter sich. Und was jetzt?
SPD und CDU „wollen die Unterrichtsversorgung an den niedersächsischen Schulen flächendeckend verbessern.“ Ziel: „… für die allgemeinbildenden Schulen eine Unterrichtsversorgung von mehr als 100 Prozent im Landesdurchschnitt.“ (S. 10)
Das klingt gut. Die entscheidende Frage ist natürlich, wie die neue Regierung dieses Ziel erreichen will. Hierzu gibt es verschiedene Hinweise im Koalitionspapier.
Im „Mittelpunkt“ der Unterrichtsversorgung „steht dabei der Pflichtunterricht nach Stundentafel“, heißt es auf Seite 10. Diese Formulierung wurde wortwörtlich aus dem CDU-Wahlprogramm übernommen – und verheißt nichts Gutes. Alle wissen, dass Schule definitiv nicht nur aus Unterricht besteht und bestehen darf. Es gibt deswegen zahlreiche Zusatzbedarfe für Förderstunden, Ganztagsangebote, Arbeitsgemeinschaften, Differenzierungsstunden und so weiter, die für pädagogische Zwecke genutzt werden und in der Regel Lehren und Lernen effektiver und auch angenehmer für alle Beteiligten macht. Streicht man diese Stunden, stimmt unter Umständen die Statistik, aber Schule verändert ihren Charakter.
Quereinstieg
Des Weiteren plant die Landesregierung, das „Berechnungsverfahren der Unterrichtsversorgung“ in dieser Legislaturperiode zu überprüfen. Die Eckpunkte einer guten Unterrichtsversorgung „sollen sich künftig an neuen Indikatoren orientieren.“ (S. 11) Man kann nur hoffen, dass auch hier nicht nur an der Statistikstellschraube gedreht wird, sondern insbesondere Ziel ist, die Verteilung der auszuschreibenden Stellen auf die Schulen gerechter und effektiver zu gestalten, um wirklich Lücken in den Schulen zu schließen. So könnten Abordnungen nach Besetzung der Stellen (und Beginn des laufenden Schulbetriebs) verhindert bzw. zumindest reduziert werden. Die im Vertrag angekündigte bessere Anbindung der Niedersächsischen Landesschulbehörde an das Kultusministerium kann hier genauso helfen (vgl. S. 21) wie der Plan, „im Kultusministerium eine langfristige Fachkräfteplanung für Schulen etablieren“ (S. 9) zu wollen.
Um zusätzliche Lehrkräfte gewinnen zu können, soll der Lehrerberuf attraktiver gemacht werden. Aber – wie gesagt – fehlen in puncto gute Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung konkrete Angaben. Die sind aber aktuell nötig, will man Interessierte gewinnen. Andernfalls bewerben die sich in anderen Bundesländern.
Die „niedersächsischen Studienstandorte für die Lehrämter und die Studienseminare (sollen) zukunftsfähig“ aufgestellt werden, um „Kapazitätsveränderungen abfedern zu können“ (S. 9). Das muss in der Tat eine der ersten Aufgaben der neuen Landesregierung sein. Im Abschnitt des Koalitionsvertrages zur beruflichen Bildung heißt es dazu: „Zudem wollen wir die Kapazitätsplanung beim Lehrkräftebedarf in enger Abstimmung zwischen Kultusministerium und Wissenschaftsministerium optimieren.“ (S. 17) Warum gilt dieses Vorhaben nicht gleichermaßen für den allgemein bildenden Schulbereich? Nur durch vernünftige Planung und Koordination der Ausbildung kann man mittel- und langfristig (nicht kurzfristig!) verhindern, dass vermehrt Quereinsteiger*innen eingestellt werden müssen. Die können „durch ihre außerschulischen Erfahrungen den Schulalltag und die Bildung der Schülerinnen und Schüler“ zwar durchaus bereichern. Zwingend erforderlich ist aber, dass sie „eine gute pädagogische Qualifikation erwerben“ (S. 10), was natürlich auch zusätzliche Kapazitäten in den Studienseminaren und den Schulen erfordert, die hier stärker eingebunden werden sollen.
Inklusion und Übergang in die weiterführende Schule
Die Koalition will die „schulische Inklusion entsprechend den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention fortführen …“ (S. 10) Möglichkeiten zur besseren Versorgung der inklusiven Schulen mit Lehrerstunden sollen überprüft werden. Im Vordergrund stehe dabei, „wie den inklusiven Schulen eine systembezogene Ausstattung zur Verfügung gestellt werden kann.“ (S. 19f.) Ein interessantes Projekt, wenn die Ressourcen stimmen und daraus kein Sparprogramm wird.
Für die noch bestehenden Förderschulen Lernen im Sek I-Bereich, die die CDU übergangsweise erhalten wollte, gibt es eine verlängerte Übergangsfrist bis 2028. Das bedeutet konkret, dass jetzt schon auslaufende Förderschulen bis zum Schuljahr 22/23 nun doch wieder neue 5. Jahrgänge einrichten könnten. Ob diese dem Koalitionsfrieden geschuldete Kompromisslösung eine kluge ist, darf bezweifelt werden, nicht zuletzt wegen der immensen Ressourcen an Förderschullehrkräften, die damit gebunden werden. Ob die Frist genutzt wird, entscheidet der Schulträger nach Bedarf und Nachfrage. Darüber hinaus können sich im Grundschulbereich „regionale Inklusionskonzepte … etablieren, z. B. durch die Einrichtung von eigenständigen Lerngruppen.“ Im Sekundarbereich I wird den Schulträgern die Einrichtung von Kooperationsklassen ermöglicht. Das Konzept zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Förderbereich der emotionalen und sozialen Entwicklung will man „prüfen und ggf. anpassen“. Es sieht so aus, als solle es doch neben der inklusiven Schule neue Sonderformen geben bzw. alte erhalten bleiben. Auch das Konzept der RZI soll überarbeitet werden (S. 20).
Auf Wunsch der Eltern soll es über das Beratungsgespräch hinaus eine Schullaufbahnempfehlung für die weiterführende Schule geben (S. 15). Grundschulen, die sich für Zeugnisse in Form von Lernstandberichten entscheiden, können im 3. Schuljahrgang und müssen im 4. Schuljahrgang zusätzlich zu den Lernstandberichten wieder Noten geben. (S. 15) Insbesondere für Praktiker*innen ist der pädagogische Gewinn dieser Maßnahmen sehr fraglich.
Die Koalitionsvereinbarung kann hier abgerufen werden.
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