Vier-Tage-Woche die bessere Alternative
INTERVIEW – GEW-Bezirksvorsitzende Wencke Hlynsdóttir äußert sich zum Lehrermangel
Über die vorübergehende Auflösung des Schulkindergartens an der Grundschule Wiefelstede ist GEW-Bezirksvorsitzende Wencke Hlynsdóttir empört. Eine befristete Vier-Tage-Woche hätte weniger Unruhe für alle Beteiligten bedeutet, sagt die Oldenburgerin im Interview mit unserer Redaktion.
Die vorübergehende Einführung einer Vier-Tage-Woche an der Grundschule Wiefelstede hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Warum?
Wencke Hlynsdóttir: Im November stand in einem Gutachten der Humboldt-Universität, dass sich die Kompetenzen der Grundschulkinder in Mathematik und Deutsch dramatisch verschlechtert haben. Im Dezember kündigte die Kultusministerin an, dass der Lehrermangel noch mindestens zehn Jahre andauern wird, zum Schuljahreswechsel verkündete sie einen erneuten Tiefstand der Unterrichtsversorgung und jetzt kam noch die Diskussion über eine Vier-Tage-Woche obendrauf. Das musste irgendwann explodieren.
Waren diese Probleme abzusehen?
Hlynsdóttir: Man kann sechs Jahre im Voraus sehen, wie viele Schüler ungefähr eingeschult werden. Es war bekannt, dass die Förderschulen auslaufen werden und dass deshalb Kapazitäten im System geschaffen werden müssen. Stattdessen wurden die Ausbildungskapazitäten reduziert. Das war ein Fehler. Jetzt versucht die Kultusministerin mit allen Mitteln, kurzfristige Lösungen umzusetzen, in dem sie zum Beispiel pensionierte Lehrerinnen und Lehrer zurückholen will. Die Misere, die wir jetzt haben, lässt sich also nicht einer einzelnen Regierungspartei in die Schuhe schieben. Sie wurde von den Regierungsparteien der letzten 20 Jahre verursacht. Und da kommen wir jetzt nicht so schnell raus.
Wäre eine Vier-Tage-Woche angesichts dieser Probleme vorübergehend eine gute Lösung?
Hlynsdóttir: Die Grundschule Wiefelstede war nicht die erste Schule im Nordwesten, die zu dieser Maßnahme greifen wollte, und es wird weitere geben. Das Regionale Landesamt wäre befugt gewesen, dieser vorübergehenden Lösung zuzustimmen. Das hätte für weniger Unruhe gesorgt, als es jetzt die Alternativen tun. Wenn eine Vier-Tage-Woche durchdacht ist, steckt dahinter nämlich ein Konzept. Lehrkräfte bereiten fachlich und pädagogisch fundiert Aufgaben vor, die die Schülerinnen und Schüler selbstständig bearbeiten. Ob sie das zu Hause tun oder in einer Notbetreuung spielt dabei keine Rolle.
Welche Nachteile sehen Sie bei den Alternativen?
Hlynsdóttir: Neben der Verlässlichkeit haben die Grundschulen einen Bildungsauftrag. Doch diesem kommen sie mit den Alternativen nicht so nach wie es sein sollte. Über die Auflösung des Schulkindergartens in Wiefelstede bin ich empört. Das ist ein starkes Stück. Im Schulkindergarten sitzen die Kinder, die sprachlich oder wegen ihres Verhaltens nicht am Unterricht teilnehmen können. Die Auflösung des Schulkindergartens bringt nur Unruhe, für die Kinder, die Klassen und die Klassenleitungen. Hier wird das Problem auf den Schultern der Schwächsten ausgetragen. Und auch beim Zusammenlegen von Klassen reden wir nicht von Unterricht, sondern von Aufbewahrung und Betreuung, wenn auf einmal 50 Schüler in einer Lerngruppe sind.
Was würde eine Vier-Tage-Woche für die verlässliche Betreuung bedeuten?
Hlynsdóttir: Wenn eine Schule in einer Notsituation die Kinder nur an vier Tagen beschulen kann, ist eine Verlässlichkeit auch am fünften Tag gegeben. Denn es gibt immer eine Notbetreuung. Die richtet sich zum einen an die Kinder, deren Eltern arbeiten müssen. Zum anderen aber auch an Kinder, von denen die Schule meint, dass es gut wäre, wenn diese die Aufgaben in der Schule erledigen und nicht zu Hause, wo schwierige Bedingungen herrschen.
In Wiefelstede wurden statt einer Vier-Tage-Woche nun Lehrer anderer Schulen abgeordnet, um die Lücken zu füllen.
Hlynsdóttir: Das Abordnungskarussell verlagert die Probleme nur, löst sie aber nicht. Kurzfristig ist das in Ordnung, schließlich können die Regionalen Landesämter im Moment auch nur versuchen, den Mangel zu verwalten und stehen da jeden Tag vor unglaublichen Herausforderungen. Für bedenklich halte ich es, wenn die Notlösungen zu Lasten der Schwächeren gehen, also zum Beispiel Flüchtlingskindern, Kindern mit Förderbedarf oder Inklusionskindern. Deshalb müssen wir alle an einem Strang ziehen und aufpassen, dass die Verlierer der aktuellen Misere nicht einseitig die sind, die keine Lobby oder ein starkes Elternhaus haben. Wir brauchen einen Schulterschluss von Eltern, Lehrern, Schulleitungen, Behörden und dem Ministerium.
Das Grundproblem ist der Lehrermangel. Wie kann hier eine Lösung aussehen?
Hlynsdóttir: Die Unterrichtsverpflichtung muss runter. Dann schaffen es auch mehr Lehrkräfte, in Vollzeit zu arbeiten und es könnte auch Berufseinsteiger wieder motivieren, den Lehrerberuf zu wählen. Dieser Schritt wäre aber auch wichtig, um die Älteren zu halten. Wir fordern schon lange die zweite Stunde der Altersermäßigung. Warum nicht sogar weitergehen? Eine Stunde weniger ab 55 Jahren, eine weitere ab 60 und noch eine ab 63. Hauptsache, die Lehrkräfte schaffen es bis zur Pensionierung. Die Zahl derer, die auf Grund der Belastungssituation (aus persönlichen Gründen) Teilzeit reduzieren oder frühpensioniert werden, ist viel zu hoch. Da könnte man gegensteuern. Ich finde es skandalös, dass viele nicht aus familiären, sondern aus persönlichen Gründen reduzieren, weil die Arbeitsbedingungen so sind, wie sie sind. Außerdem sollten auch kleinere Grundschulen eine Konrektoren- und eine Sekretärinnenstelle bekommen.
Frank Jacob