Von der Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen haben viele Menschen bereits gehört. Aber was muss man als TeilnehmerIn hier eigentlich machen? Wir haben bei Hetty Erferth und Raimund Hethey vom Gymnasium Westerstede nachgefragt.
Ihr nehmt an der Arbeitszeitstudie der GEW teil. Was müsst ihr eigentlich dafür machen?
Hetty: Man muss sich merken, was man gemacht hat. Wenn ich nach Hause komme, setze ich mich an den Rechner und trage erst einmal ein, was ich in den Pausen an zusätzlicher Arbeit hatte. Die Unterrichtsstunden sind nämlich bereits eingetragen. Wenn man am Schreibtisch arbeitet, ist das Verfahren ganz einfach: Man lässt den Time-Tracker (Ein Start- Stopp System für das Handy oder den Computer, Anmerkung der Red.) laufen.
Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, was das für eine Art von Arbeit ist, die man gerade macht. Ist das zum Beispiel pädagogische Kommunikaion oder Unterrichtsvorbereitung?
Raimund: Ich habe mich zunächst mit diesen ganzen Tätigkeitsschwerpunkten vertraut gemacht: Was ist Unterrichtsvorbereitung, was ist pädagogische Kommunikation, wie sind Krankheitstage einzutragen, wie Funktionstätigkeiten? Ich schreibe mir das meiste auf Zettel auf und trage das am Wochenende am Computer ein.
Wie läuft das in den Ferien ab?
Hetty: In den Ferien bin ich tatsächlich oft aus dem Tritt . Aber man bekommt Erinnerungsmails, wenn man länger nichts eingetragen hat. Über die Weihnachtsferien habe ich z. B. einiges korrigiert. Hier muss man aufpassen, dass man nicht vergisst, diese Tätigkeiten einzutragen, besonders wenn man nicht zu Hause gearbeitet hat.
Wenn ihr die Arbeit jetzt bewusster wahrnehmt: Hattet ihr Eintragungen, die ihr so nicht erwartet hattet?
Hetty: Es ist manchmal schwierig zu sagen, das war jetzt Arbeitszeit. Wenn man z. B. mit Kollegen Mittag isst und zunächst über alles Mögliche plaudert, landet man oft bei einem handfesten Problem, das mit Schule zu tun hat. Und nicht selten wird dieses auch beim Essen gelöst. Es ist wirklich überraschend, wie viel man sich in der privaten Zeit mit sei- ner Arbeit beschäftigt.
Raimund: Lehrerjob ist halt nicht: Morgens in die Schule gehen, mittags nach Hause und dann ausruhen und am nächsten Tag wieder starten. Das ist mehr, das ist viel mehr. Kurz vor Weihnachten kommen zum Beispiel die Klausuren unter Abiturbedingungen. Ich sitze dann zwei Drittel der Weihnachtsferien, um die Klausuren möglichst bald wieder zurückgeben zu können. Unterrichtsfrei heißt eben nicht arbeitsfrei.
Du hattest im Vorgespräch auch gesagt, dass du jetzt sogar deinen Fernsehkonsum anders wahrnimmst?
Raimund: Das ist so. In der Oberstufe stand „Dantons Tod“ auf dem Plan. Da gibt es eine Verfilmung von 1963. Die habe ich mir natürlich erst angesehen. Nach den 90 min habe ich dann entschieden: Die verwende ich nicht. Ja, aber das ist natürlich Arbeitszeit. Wenn ich im Politikunterricht z. B. die Flüchtlingsproblematik behandeln will, dann nehme ich sämtliche Talkshows auf, die gerade laufen und wähle aus. Die Studie macht sehr deutlich, wie viel Zeit das kostet. Das wird vor allen Dingen deutlich, wenn man in einer Beziehung ist, in welcher der Partner nichts mit Schule zu tun hat. Standardfrage: Musst Du jetzt wieder et- was für die Schule machen?
Ich vermute, dass jetzt bei der Studie herauskommt, dass wir mehr als 40 Stunden im Durchschnitt arbeiten. Pi mal Daumen komme ich gut auf 50 Stunden.
Hetty: Hast Du das schon auf die Ferien umgelegt?
Raimund: Alles dabei. Manchmal sind es halt auch 70 Stunden. Dann habe ich gesagt: Heute haue ich mal die Klausur durch und war dann morgens um 4.00 Uhr immer noch am Schreibtisch.
Was hat Euch eigentlich motiviert, an der Arbeitszeitstudie teilzunehmen. Die Mitarbeit ist ja mit zusätzlicher Arbeit verbunden?
Hetty: Das hatte den Ursprung in dieser einen Stunde, die wir auf einmal mehr arbeiten mussten. Wir haben im Kollegium viel darüber geredet und auch versucht, anderen Menschen zu erklären, was unsere Arbeit eigentlich bedeutet. Mir schien das eine gute Sache, an der Studie und an der Datenerfassung teilzunehmen, um wirklich handfeste Argumente zu bekommen. Am Ende steht ein Ergebnis, mit dem man offensiv umgehen kann: Es geht dann um keine gefühlte Belastung, sondern um ein Faktum. Aber es war schon ein komisches Gefühl, zu wissen, du musst das jetzt ein Jahr lang machen.
Wir Lehrer sind ja auch sehr unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele verschiedene Gruppen teilnehmen, also Menschen mit langer Berufserfahrung, Anfänger, Menschen mit unterschiedlichsten Fächerkombinationen mitmachen.
Raimund: Mir ging es so wie Hetty. Ich war wütend über diese preußische Aufforderung, eine Stunde mehr Unterricht zu machen. Und dann immer dieser Unterton: Eine Stunde ist ja so gut wie nichts. Da war nicht mitgedacht, dass auch diese eine Stunde immer auch zusätzlich Vor- und Nachbereitung und u. U. eine weitere Lerngruppe bedeutet. Und dann war der Gedanke, den die GEW da ins Leben gerufen hat: Wir machen an der Tellkampf- Schule, eine Teststudie, wie das tatsächlich aussieht mit der Arbeitszeit. Ich finde gut, dass man dann gesagt hat, wir machen das jetzt für alle. Dann haben wir in der politischen Auseinandersetzung auch etwas in der Hand. Es geht ja auch nicht nur um die Arbeitszeit der Lehrkräfte am Gymnasium, sondern überhaupt. Das betrifft alle Lehrerinnen, unabhängig von der Schulform. Der Zeitraum ist natürlich immens: 1 Jahr. Aber das ist notwendig. Wenn ich nur eine Woche ansehe, ist diese Woche vielleicht eine Ausnahmewoche, weil Klausuren anstehen.
Hetty: Ich fand es auch spannend, zu sehen, wie sich bei mir persönlich die Arbeitszeit zusammensetzt. Ich weiß ja oft gar nicht genau, wie viel ich arbeite. Manchmal fragen Schüler: Wie lange brauchen Sie denn überhaupt für unsere Klassenarbeit? Bislang konnte ich das nur schätzen. Und jetzt kann ich hingehen und definitiv rechnen: Wie viel Zeit habe ich eigentlich für das Korreferat im Mathe Abitur gebraucht. Und dann gibt es ja noch dieses Tortendiagramm, das man abrufen kann.
Raimund: Im Tortendiagramm sieht man, welchen Anteil welche Tätigkeit an der Gesamtarbeitszeit hatte. Wie viel Zeit man für Unterricht und Vertretung, für Vor- und Nachbereitung, für Funktionsarbeit, Weiterbildung oder pädagogische Kommunikation eingesetzt hat. Krankheitszeiten werden auch ausgewiesen.
Hetty: Es ist erstaunlich, wie klein das Tortenstück für den eigentlichen Unterricht häufig ist. Die anderen Tätigkeiten nehmen weiten Raum ein.
Wart ihr bei dem ein oder anderen Ergebnis, das Eure Erhebung gebracht hat, überrascht?
Hetty: Mein größtes Aha-Erlebnis war, dass es manchmal so ist, dass man abends 6 oder 7 Stunden einträgt und eigentlich total erledigt ist. Da fragt man sich: Das kann doch jetzt gar nicht sein, nach sechs Stunden Arbeit. Warum bist du jetzt so kaputt ? Und dann schaut man nach, was man gemacht hat: Eine große fünfte Klasse, Versuche im Chemieunterricht, kaum Ruhe in den Pausen. Wenn ich sechs Stunden korrigiere, dann bin ich nicht so kaputt. Die Tätigkeiten sind also eigentlich nicht gleichzusetzen.
Sollte die psychosoziale Belastung noch erfasst werden?
Hetty: Ja, aber man kann das nicht so einfach erfassen, weil es so unterschiedlich ist. Eine zweite Erkenntnis ist die, dass die Belastung von Woche zu Woche sehr verschieden ist. Es gibt Wochen, in denen man unheimlich viel arbeitet und dann Wochen, in denen man relativ wenig auf dem Stundenkonto hat. Deshalb ist die Langzeitstudie auch so wichtig. Es gibt immer wieder Hochphasen und immer wieder Phasen zum Durchatmen.
Raimund: Diese Phasen des Durchatmens werden aber immer kürzer. Ich habe vor den Weihnachtsferien den Eindruck, dass viele Kollegen auf dem Zahnfleisch gegangen sind. Da waren die Korrekturen zum Ende des Halbjahrs. Dann ist es vielleicht eine Woche in den Ferien etwas ruhiger und mit Schulstart geht es gleich in die Vollen. Da kommen auf den Unterricht noch die Konferenzen. Der gestrige Tag war so ein Hammertag: 8:00 in der Schule, Unterricht bis 13.15, dann 14.00 Uhr Personalversammlung und um 16.00 Dienstbesprechung. Irgendwann um 18.00 war das zu Ende und ich war fertig.
Hetty: Und dann kommst Du nach Hause und musst noch Vertretungsstunden für den folgenden Tag vorbereiten.
Das Kultusministerium plant, vor den Sommerferien alle Kollegen und Kolleginnen in Niedersachsen über ihre Belastungssituation in Schule zu befragen. Diese Maßnahme steht im Zusammen-hang mit der Entrümpelungsaktion, die Stephan Weil angekündigt hat. Was haltet ihr davon?
Raimund: Ich glaube nicht, dass das jetzt nur angelegt ist, um tatsächlich Verbesserungen für die Lehrer und Lehrerinnen zu schaffen. Warum ich das so empfinde? Schon die Reaktion der Landesregierung auf die Tellkampf-Studie war doch miserabel. Das hieß doch erst, die könne man gar nicht ernst nehmen. Und jetzt merkt man, dass die GEW die Studie ausweitet und man versucht dagegen zu steuern, indem man selbst eine Befragung macht. Aber was soll denn eigentlich entrümpelt werden?
Genannt werden in diesem Zusammenhang die Bögen zur individuellen Lernentwicklung (ILE)…
Raimund: Ja, aber was ist der Preis? Was ist das Angebot der Regierung? Wenn sie sagen würde: Wir möchten, dass ihr die ILE- Bögen ausfüllt, dafür kriegt ihr zwei Stunden Ermäßigung. Das wäre ein Deal.
Hetty: Es kann nicht die Frage sein, ob man die ILE-Bögen entrümpelt, sondern man muss sich doch fragen: Ist diese Methode sinnvoll oder nicht? Und wenn ja, dann darf Zeit kein Argument sein, die muss dann zur Verfügung gestellt werden.
Bei der Stundenerhöhung ist doch damals auch von einer Umverteilung der Arbeit gesprochen worden, als sich jeder gefragt hat: Wie jetzt? Soll ich in einem wichtigen Fall die Mutter nicht anrufen? Man kann viele Dinge einfach nicht umverteilen. Alle Tätigkeiten, die sinnvoll sind, müssen halt gemacht werden. Und dafür muss die Zeit einfach her.
Raimund: Das gilt auch für Klassenfahrten. Die Regierung hat viel Wert darauf gelegt, dass wir den Fahrtenboykott abbrechen und wir uns wieder um das Wohl der Schüler und Schülerinnen kümmern und was hat man uns dafür geboten? Das alles ist doch lebensfremd: Wenn ich eine Woche mit Schülern und Schülerinnen unterwegs bin, dann bin ich nicht acht Stunden am Tag, sondern viel länger im Einsatz. Dafür gibt es überhaupt keinen gerechten Ausgleich. Würde es einen gerechten Ausgleich geben, dann würde es wieder heißen: Das können wir uns nicht leisten.
Die Ergebnisse der GEW Arbeitszeitstudie werden im Sommer präsentiert. Was vermutet ihr denn, was dabei herauskommt?
Hetty: Ich erwarte, dass dabei rauskommt, dass die Belastung für Lehrkräfte über das Jahr sehr unterschiedlich ist. Diese ungleiche Verteilung wird in jedem Fall ein Ergebnis sein.
Raimund: Ich denke, dass die wissenschaftliche Studie deutlich macht, dass die Arbeitszeit für Lehrer und Lehrerinnen deutlich höher ist, als sie sein darf.
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