Ein Paukenschlag im Herbst

Expertenkommission empfiehlt deutliche Entlastungen für Lehrkräfte

Der 30. Oktober 2018 könnte für die Arbeitszeitbemessung für Lehrkräfte ein bedeutendes Datum werden. An diesem Tag stellte das Kultusministerium den Bericht der Expertenkommission „Arbeitszeitanalyse“ vor, der deutlich macht, dass es ein einfaches Weiter-So in der Arbeitszeitfrage nicht mehr geben kann. Die Empfehlungen des Gremiums haben es in sich: Sie sehen deutliche Verbesserungen für Lehrkräfte vor und enthalten konkrete Vorschläge. Es ist jedoch offen, ob sie von der Landesregierung umgesetzt werden.

Blick zurück: Das OVG Urteil von 2015

Im Sommer 2015 erklärte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die von der damaligen Landesregierung verfügte Anhebung der Regelstundenzahl für Gymnasiallehrkräfte für rechtswidrig. Die Richter stellten fest, dass die entscheidende Bezugsgröße für die zu verrichtende Arbeitszeit die im Beamtengesetz festgeschriebene 40-Stunden-Woche ist. Eine Anhebung der Regelstundenzahl sei daher nur dann gerechtfertigt, wenn der Dienstherr nachweisen könne, dass mit der jeweils geltenden Regelstundenzahl Lehrkräfte mit ihrer Arbeitszeit unter diesen Wert fallen würden. Die damals schon vorliegenden Ergebnisse der Göttinger Arbeitszeitstudie, die seinerzeit von der GEW in Auftrag gegeben wurde, sprachen aber eine ganz andere Sprache: Die Wissenschaftler wiesen nach, dass u. a. am Gymnasium nicht zu wenig, sondern viel zu viel gearbeitet wird. Insofern sei die Anhebung der Regelstundenzahl ein Rechtsverstoß. 

Die Folgen

Mit dem Lüneburger Richterspruch sah sich das Kultusministerium plötzlich mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen galt es, die bereits beschlossene Anhebung der Stundenzahl für Gymnasiallehrkräfte rückgängig zu machen. Zum anderen wurde deutlich, dass die Ergebnisse der Göttinger Arbeitszeitstudie zu weiteren Klagen führen könnten, da diese auch an weiteren Schulformen Mehrarbeit in beträchtlichem Umfang aufgedeckt hatte. 

Die damalige rot-grüne Landesregierung beschloss daher die Einsetzung einer Expertenkommission, die den Auftrag erhielt, „Vorschläge zu Kriterien, Instrumenten und Verfahren für eine rechtssichere Bemessung und Bewertung der Arbeitszeit von Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleitern“ zu entwickeln. Dieses Gremium nahm seine Arbeit im Dezember 2016 auf.

Expertenkommission: Bedeutende Verletzungen der Arbeitszeitnormen

Nun liegt der Abschlussbericht vor. Die Expertenkommission orientiert sich maßgeblich an der Göttinger Arbeitszeitstudie. Allerdings hat diese nur für das Gymnasium, die Gesamtschule und die Grundschule repräsentative Ergebnisse geliefert. Daher trifft das Gremium noch keine Aussagen für die anderen Schulformen. Für die erstere Gruppe konstatiert der Bericht: „Die Daten für Grund- und Gesamtschulen sowie Gymnasien dokumentieren bedeutsame Verletzungen der Arbeitszeitnormen durch eine Mehrheit der Lehrkräfte (Bericht, S. 3).“ Für 57 % der Lehrkräfte an diesen Schulformen gilt, dass die Arbeitszeit über den gesetzlichen Bestimmungen liegt. „17% der Voll-zeitkräfte überschreiten während der Schulwochen dauerhaft die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche.“ Dabei weisen Teilzeitlehrkräfte im Schnitt besonders starke Überschreitungen auf, genauso wie Lehrkräfte mit Funktionsstellen sowie Schulleiter und Schulleiterinnen.

Die Expertenkommission sieht deutlichen Handlungsbedarf für die Landesregierung, hier für Entlastungen zu sorgen. Sie schlägt vor, dass den Schulen zwei Drittel der quantitativ ermittelten Mehrarbeit in Form von zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollen. Das übrige Drittel könnte nach ihrem Dafürhalten von den Lehrkräften und Schulen durch Optimierungen vor Ort erreicht werden.

Idee: Entlastungsstunden für konkrete Belastungen

Innerhalb eines Kollegiums ist die Belastungssituation für die Kolleg*innen unterschiedlich. Um nun dem Personenkreis gerecht zu werden, der in besonderem Maße belastet ist, empfiehlt die Expertenkommission ein neues Instrument der „Entlastungsstunden“. Dieser Pool von zusätzlichen Stunden soll an die Schulen gegeben und dort für konkrete Tatbestände eingesetzt werden. Der Bericht sieht den Einsatz des Instruments für „herausfordernde Lerngruppen, Korrekturaufwand, Koordinationsaufgaben, pädagogische Kooperation und Kommunikation, Mitarbeit in schulischen Gremien, Schulorganisation, Koordinationsaufgaben, Aufgaben, für die auch Beförderungsämter gewährt werden, Betreuung von Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern, Schulleitungsaufgaben, schulbezogene Herausforderungen (S. 5)“ vor. In besonderem Maße seien Teilzeitlehrkräfte zu entlasten. 

Das vorgeschlagene Volumen der Entlastung ist dabei beträchtlich. Für die untersuchten Schulformen schlägt die Expertenkommission zusätzliche Stundenressourcen in Höhe von 2413 Vollzeitstellen (Gymnasien: 1087; Grundschulen: 889; Gesamtschulen: 437) mit einem Gesamtvolumen von über 60.000 Stunden vor.

Da die Auswertung der Arbeitszeitstudie gezeigt hat, dass in den Grundschulen u.a. die Streuung in der Arbeitszeit innerhalb der Kollegien sehr eng ist, empfiehlt die Kommission hier eine Reduzierung des Stundendeputats auf 27 h pro Woche. 

Für die Gymnasien und Gesamtschulen wird die Reduktion der durchschnittlichen Kursgröße in der Qualifikationsphase auf 17-19 Schülerinnen angeregt (jetzt: 18-20 Schülerinnen). 

Schulfachliche Koordinatorinnen und Koordinatoren sollen von einer Erhöhung der Anrechnungsstunden von 5 auf 7 Stunden profitieren.

 

Die Mehrausgaben für den skizzierten Maßnahmenkatalog beziffert die Kommission auf 200 Millionen Euro pro Jahr. Zu beachten ist allerdings, dass mögliche Entlastungen für die noch nicht betrachteten Schulformen (Haupt-, Real-, Ober-, Förderschulen und BBS) fehlen. Hier muss mit zusätzlichen Maßnahmen gerechnet werden. 

Weitere Ressourcen zur Verbesserung der
Unterrichtsqualität empfohlen

Das Expertengremium stellt in seinem Bericht zudem fest, dass mittelfristig weitere Ressourcen an den Schulen gehen sollten, um die Unterrichtsqualität insbesondere der Voll-zeitslehrkräfte zu verbessern. Die Arbeitszeitstudie dokumentiert, dass die hohe zeitliche Belastung dieses Personenkreises in den Schulwochen dazu führt, dass Abstriche in der Vorbereitung des Unterrichts in Kauf genommen werden. Angedacht sind hierfür weitere 8216 Stunden für die Grund-, 6048 für die Gesamtschulen und 7532 Stunden für die Gymnasien.

Der vorgeschlagene Maßnahmenkatalog ist für die Landesregierung selbstverständlich nicht bindend. Sie wäre allerdings gut beraten, dem seit Jahren völlig unterfinanzierten Bildungssektor zügig zusätzliche Mittel zuzuweisen. Schließlich lässt sich auf der Basis der Befunde für die Betroffenen, die Mehrarbeit leisten, ein Rechtsanspruch auf Entlastung ableiten. Die GEW hat aus diesem Grund bereits Klagen von Grund- und Gymnasiallehrkräften eingereicht.

Doch auch wenn die Landesregierung einlenken sollte,  muss damit gerechnet werden, dass zusätzliche Stellen bei der momentanen schlechten Bewerber*innenlage nur geringem Umfang besetzt werden können. Insofern wird – sollte die Landesregierung dem Rat der Experten folgen- eine Umsetzung nur mittelfristig zu realisieren sein. 

Dennoch: Für einen rechtssicheren Umgang in der Arbeitszeitfrage wird der Landesregierung nichts anderes übrig bleiben: Sie wird sich bewegen und viel Geld in die Hand nehmen müssen.

Der Bericht der Expertenkommission kann hier geladen werden.

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