Mangelverwaltung. Der 17-Punkte-Plan der Landesregierung

Wer aus den Fehlern der Geschichte nicht lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Diese Einsicht – so trivial sie auch sein mag – überkommt in diesen Tagen die Personen, die sich berufsmäßig oder interessehalber mit dem Thema der Unterrichtsversorgung in Niedersachsen beschäftigen.

Zurzeit kommt kaum eine Region im Bezirk Weser-Ems auf eine Unterrichtsversorgung von 100 %. Freie Stellen für Lehrkräfte können in der Peripherie nur schwer besetzt werden, viele Stellen bleiben vakant.

Diese Situation erinnert stark an die Zeiten der Siebziger Jahre mit ihrem Lehrkräftemangel. Randständige Landkreise köderten zum Teil Absolven-tInnen mit der Vermittlung von günstigem Wohnraum.

Die bevorstehenden Wahlen – schließlich wird in Niedersachsen in rund anderthalb Jahren ein neuer Landtag gewählt – machen dieses Thema nun zum Politikum. Schließlich möchte sich kein Politiker und keine Politikerin nachsagen lassen, er oder sie würde sich nicht um die Bildungschancen der Landeskinder kümmern. Und dass diese im Moment gefährdet sind, steht außer Zweifel.

Immer wenn eine Misere ausgemacht ist, stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung. Und so dreschen in diesen Tagen CDU und FDP auf die Landesregierung ein, und die Regierung weist diese Vorwürfe ebenso energisch zurück. Dabei sind die Schuldigen für die aktuelle Situation schnell ausgemacht. Die ganze Situation ist der Ausdruck kollektiven Politikversagens.

Der Lehrkräftebedarf lässt sich nämlich gut prognostizieren. Der Arbeitgeber weiß schon Jahre im Voraus recht genau, wann viele seiner Beschäf-tigten in Pension gehen oder massenhaft in Ar-beitszeitkonten eingesparte Stunden in den Kollegien abgefeiert werden müssen. Daher muss der Arbeitgeber auf der Angebotsseite nur rechtzeitig dafür sorgen, dass genügend Lehrkräfte ausgebildet werden.

Schwieriger wird die Situation allerdings, wenn die Altersstruktur in den Kollegien so ist, dass auf einem Schlag sehr viele Lehrkräfte in den Ruhe-stand gehen. Hier kann eine Situation eintreten, dass die Angebotsseite die Nachfrage nicht mehr decken kann. Aber auch dann kann eine Landesregierung gegensteuern. Da die Personalpolitik weitgehend planbar und die Bedarfslücke frühzei-tig zu erkennen ist, muss man nur KollegInnen einstellen, solange sie noch auf dem Markt sind. Auf diese Weise stellt man zwar etwas über Bedarf ein, hat aber einem erwartbaren Mangel vorgebeugt und an den Schulen auch echte Vertretungsreserven geschaffen. Eine solch kluge Personalpolitik setzt aber ein Handeln voraus, das sich nicht an Legislaturen und Jahreshaushalten, sondern an größeren zeitlichen Dimensionen orientiert. Lehrkräfte, die heute fehlen, hätten vor rund 7 Jahren ihr Studium beginnen müssen. Lehrkräfte,  die vor 7 Jahren in Niedersachsen keine Stelle bekommen haben und abgewandert sind, hätten zum Teil damals bereits eingestellt werden müssen, um dem erwartbaren Fehl entgegenzu-steuern. Damit ist die Frage nach der Verantwortung geklärt: In den letzten 10 Jahren haben sich weder die alte CDU-FDP- Regierung noch die von SPD und Grünen konzeptionell und nachhaltig gegen diese Entwicklung gestemmt.

Und nun kommt die Quittung.

Selbst wenn im Moment überhaupt Lehrkräfte eingestellt werden, heißt dies noch nicht, dass man deren studierte Fächer überhaupt benötigt. Eingestellt wird nach dem Motto: Besser eine Lehrkraft als keine Lehrkraft. In Regionen, in denen die Versorgungslage äußerst angespannt ist, bedeutet dies auch einen Verlust an fachlicher Expertise in den Schulen.

Dabei ist der Lehrkräftemangel durchaus schulformspezifisch. Es fehlen im Moment LehrerInnen, die an Grund-, Haupt-, Real- Ober-, oder Förderschule gehen möchten. In den ersten vier Fällen sind die Ursachen schnell gefunden: Mit der Reform der Ausbildung im GHR Bereich dauert die Studien- sowie die Referendariatszeit für GHR-Kräfte exakt so lange wie für die Kolleginnen, die das gymnasiale Lehramt anstreben. Insofern verwundert es nicht, dass die Studierenden sehr genau überlegen, ob sie sich an ein Lehramt wagen, das ihnen bei gleicher Ausbildungsdauer eine geringere Besoldung verspricht.
Hinzu kommt, dass durch die Verlängerung der Studienzeit in diesem und im nächsten Jahr kaum AbsolventInnen die Universitäten verlassen werden.

Es ist in dieser Situation nur natürlich, dass eine Landesregierung reagiert. In Niedersachsen präsentierte die Landesregierung nun vor einigen Wochen den 17-Punkte-Plan zur Lehrkräftegewinnung der Öffentlichkeit (siehe Kasten).  Was ist von diesem zu halten?

17 Punkte auf dem Prüfstand

Zunächst ist der Titel irreführend. Es geht nämlich nicht allein darum, Lehrkräfte zu gewinnen, sondern darum den Personenkreis, die Lehrkräfte sein dürfen, zu erweitern. So können Personen, die keine Lehramtsausbildung haben, demnächst auch an Grundschulen eingestellt werden. Dabei ist eine grundständige pädagogische Ausbildung zwar wünschenswert, aber nicht Pflicht. Gerade im Bereich der frühen schulischen Bildung werden aber Profis benötigt, da hier die Grundlagen für den weiteren schulischen Werdegang gelegt werden.

Wenn ReferendarInnen nach abgelegter Prüfung voll arbeiten, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn  Lehrkräfte ihre eigene Teilzeit erhöhen oder Stunden auf ein freiwilliges Arbeitzszeitkonto an-sparen, so mag dies zunächst unproblematisch sein, sofern dies freiwillig erfolgt. Aber: Die meisten Lehrkräfte, die im Moment Teilzeit arbeiten, haben gute Gründe dafür. Nicht selten erkaufen sie sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Hilfe einer kräftigen Gehaltseinbuße und einem ebenso deftigen Abschlag auf die Pensionszahlungen. Bei der Mehrarbeit lassen allerdings die Ergebnisse der aktuellen Arbeitszeitstudie nicht erwarten, dass der Personenkreis, der dies beantragen wird, allzu groß sein dürfte. An allen Schulformen, für die repräsentative Ergebnisse vorliegen, arbeiten die KollegInnen am Limit.

Damit wird klar: Durch all diese Maßnahmen werden keine Lehrkräfte generiert, sondern ein Mangel verwaltet. Ganz deutlich wird dies, wenn im Punkt 7 pensionierte Lehrkräfte reaktiviert werden sollen.

Kritisch ist die Kapitalisierungsmöglichkeit von Stunden aus dem Ganztagsbetrieb zu sehen: Nach vielen Protesten wurde erst kürzlich ein Erlass zur Qualitätssicherung  der  Ganztagsbeschulung verabschiedet. Darin wurde festgelegt, wie hoch der Anteil der Lehrkräftestunden im Ganztagsbereich sein soll. Ziel war ursprünglich, den Ganztagsbe-reich mit qualifiziertem Personal auszustatten. Nun wird zurückgerudert. Schulen, die ihre Stellen nicht besetzen können, dürfen die Stunden in Geld umwandeln und die Ganztagsangebote mit außerschulischen Kooperationspartner finanzieren. Auf diese Art werden wieder Lehrkräfte-Iststunden für den Pflichtunterricht gewonnen.

Die neue Einstellungsmaxime, nach der Gymnasial-lehrkräfte vorrangig an Gesamtschulen eingestellt werden sollen, birgt einige Gefahren in sich. Es ist zu befürchten, dass Kolleginnen Stellen an Gesamtschulen in der Erwartung annehmen, sich irgendwann an ein Gymnasium versetzen zu lassen. Dies mag ein legitimer Wunsch der einzelnen Menschen sein; der Kontinuität der Arbeit an der Gesamtschule ist dies aber nicht zuträglich.

Fazit: Wo keine Lehrkräfte sind, kann man auch keine gewinnen. Das 17-Punkte-Programm ist ein Notfallplan, der versucht, aus den bereits bestehenden Ressourcen irgendwie das Möglichste herauszupressen. Es ist keine gewagte Prognose, dass dies zu Lasten der Unterrichtsqualität gehen wird.

Dadurch, dass die rechtzeitigen Korrekturen in der Vergangenheit nicht vorgenommen wurden, wird es jetzt allerdings ein Ding der Unmöglichkeit, die bevorstehende Misere zu kompensieren. Sie wird sich zunächst im GHR Bereich manifestieren.

Jede(r) LandespolitikerIn, der/die die Worte von Unterrichtsqualität und Unterrichtsversorgung in den bevorstehenden Wahlkämpfen in den Mund nimmt, sollte befragt werden, wie ihr/sein Beitrag war, diesen Zustand frühzeitig zu unterbinden.

Vermutlich wird Schweigen die Antwort sein.

 

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