Mehr Stunden für Grundschulkinder! Zielführend genug? 

von Stephan Schuder

Zum dritten Mal nach 2011 und 2016 wurde 2021 im IQB-Bildungstrend das Erreichen der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für den Primarbereich in den Fächern Deutsch und Mathematik überprüft. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine wachsende Anzahl von Grundschüler*innen selbst die Mindeststandards in diesen Fächern nicht mehr erreicht.

Die zuständige „Ständige Wissenschaftliche Kommission“ (SWK) legt in ihrem Gutachten einen besonderen Fokus auf die Förderung von basalen Kompetenzen als Voraussetzung zum Erreichen der Mindeststandards. Daneben wird darauf hingewiesen, dass ein großer Anteil von Kindern Schwierigkeiten hat, sich „sozial kompetent zu verhalten und Emotionen effektiv zu regulieren.“

Die Neugestaltung des Grundsatzerlasses „Die Arbeit in der Grundschule“ greift diese Aspekte in seiner Schwerpunktsetzung auf. In der Stundentafel sind für den Bereich „Sichere Basis“ drei Stunden vorgesehen, die sich auf die ersten beiden Jahrgänge verteilen. In den Schuljahren 2024/ 25 und 2025/ 26 ist im ersten Schuljahr eine Stunde vorgesehen. Ab dem Schuljahr 2026/27 kommt eine zweite Stunde für den ersten Jahrgang hinzu. Im zweiten Schuljahrgang gibt es eine weitere Stunde, die erstmalig im Schuljahr 2025/ 26 gegeben wird. Im Erlass finden sich Erläuterungen dazu, welche Schwerpunkte in Bezug auf die Entwicklung basaler „sprachlicher und mathematischer Kompetenzen” in den jeweiligen Schuljahrgängen gelegt werden. Die Formulierungen bleiben recht allgemein, sodass eine Konkretisierung in den jeweiligen Kerncurricula notwendig erscheint. 

Billige Notlösung für höhere Jahrgänge

Da für die 3. und 4. Schuljahrgänge keine zusätzlichen Stunden vorgesehen sind, wird im Erlass vorgeschlagen, die AG-Stunden zur „Schwerpunktbildung“ zu nutzen. Das ist eher eine billige Notlösung und zerstört den Sinn und Zweck von Arbeitsgemeinschaften. 

Grundsätzlich ist die Fokussierung auf den Erwerb basaler Kompetenzen begrüßenswert. Vor dem Hintergrund der recht begrenzten Konzentrations- und Ausdauerfähigkeit vieler Schulanfänger*innen wird eine bloße Anhebung der Stundentafel das anvisierte Ziel verfehlen. Es braucht vielmehr ein aufeinander abgestimmtes Maßnahmenpaket. Eine Anhebung der Stundentafel wäre vor allem sinnvoll im Rahmen eines rhythmisierten ganztägigen Unterrichts. An-und Entspannungsphasen können sich dann über einen längeren Zeitraum abwechseln. Auch die lange geforderte dritte Sportstunde könnte auf diese Weise umgesetzt werden. Um die Gefahr einer weiteren Überlastung der Lehrkräfte zu verhindern, müssen die betreffenden Kerncurricula inhaltlich gekürzt und hinsichtlich einer Fokussierung auf den Erwerb der basalen Kompetenzen angepasst werden. 

Vorschulische Förderung offensichtlich nicht prioritär

Die immer größer werdenden Entwicklungsdefizite der Kinder können in der Grundschule nicht mehr aufgefangen werden. In diesem Punkt sind sich die GEW und die SWK einig. Es braucht intensive Bemühungen im Bereich der frühkindlichen Bildung. Neue Vorschulmodelle oder der (Wieder-) Ausbau von Schulkindergärten wären denkbar. Hier allerdings zeigt sich der Erlass von seiner schwachen Seite, wenn es heißt, dass die mögliche Verpflichtung zum Besuch eines Schulkindergartens nur ausgesprochen werden soll, „wenn dieser in zumutbarer Weise erreicht werden kann und sein Besuch auch geeignet ist, den individuell fest-gestellten Entwicklungsrückstand abzubauen.“ 

Mit anderen Worten: eine gezielte und bestmögliche Förderung scheint abhängig von der Erreichbarkeit eines Schulkindergartens. Im schlimmsten Fall müssen aufgrund fehlender Förderangebote im Vorfeld, individuelle und vielfältige Defizite in den ersten Jahren der Grundschule mit einem erheblichen Mehraufwand aufgefangen werden. Das trägt zu einer weiteren Belastung der Beschäftigten an den Grundschulen bei.

Der Erlass greift lediglich in einem einzigen Satz den Erwerb von basalen Kompetenzen im sozial-emotionalen Bereich auf, der „Gegenstand aller Fächer“ sein soll. Eines dieser Fächer ist Religion, an dem bekanntlich eine ganze Reihe von Schüler*innen nicht teilnehmen, wodurch zusätzlich personelle Ressourcen gebunden werden. Hier könnte die verbindliche Einführung des Unterrichtsfaches „Werte und Normen“ Abhilfe schaffen. Dieses Fach erscheint insbesondere zum Erwerb basaler Kompetenzen im sozial-emotionalen Bereich geeignet.

Herausforderung in Zeiten des Fachkräftemangels

Dieser Erlassentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Umsetzen lässt er sich allerdings nur, wenn Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit ernst genommen werden. Es braucht einen neuen Ansatz für die frühkindliche Bildung und weitere personelle Ressourcen an den Schulen. Das heißt, mehr Lehrkräfte, eingebettet in multiprofessionelle Teams. 

Bereits im kommenden Schuljahr trifft der neue Erlass auf die Realität. Wir dürfen also gespannt sein, wie die Verantwortlichen in Zeiten des Lehrkräftemangels den ersten Schritt zur Anhebung der Stundentafel realisieren werden.