Schattenboxen

Warum das Thema der Unterrichtsversorgung nicht zum Wahlkampfthema taugt

Wen in diesen Tagen das Gefühl eines Déjà-vus beschleicht, leidet nicht an Sinnestäuschungen: In allen Zeitungen im Land sorgt das Thema des Lehrkräftemangels und der sinkenden Unterrichtsversorgung für fette Schlagzeilen. Damit erinnert die derzeitige Situation stark an die 70er und frühen 80er Jahre. Auch damals fehlten ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, welche die Pensionswellen dieser Zeit ausgleichen konnten.

Kultusministerin Heiligenstadt zeigte sich Anfang Februar 2017 von der aktuellen Entwicklung überrascht: Bundesweit stünde man derzeit vor Herausforderungen, die in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar waren, so die Ministerin vor dem Landtag. Würde man die Stunden, die für die Sprachförderung von Flüchtlingen aufgebracht werden, herausrechnen, könne man sogar von einer Unterrichtsversorgung von 103 % sprechen.

Was für eine Steilvorlage für die Opposition: FDP-Mann Björn Försterling warf der Ministerin umgehend „Schönfärberei“ vor. Sein Kollege von der CDU, Kai Seefried, schlug in die gleiche Kerbe und ergänzte: Heiligenstadt habe nichts unternommen, um den akuten Stundenausfall abzufedern.

Tatsächlich ist die Situation auch in Weser-Ems angespannt. Speziell in den ländlichen Regionen ist es schwer, frei werdende Stellen mit ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen. Je weiter sich eine Schule von den Zentren Oldenburg und Osnabrück entfernt befindet, desto schwieriger ist die Einstellungssituation. Die Unterrichtsversorgung liegt in diesen Regionen meist deutlich unter 100 Prozent.

Die Landesregierung hatte zu Beginn des Schuljahres 2016/17 den „17-Punkte-Plan zur Lehrkräftegewinnung“ auf den Weg gebracht, der die Not lindern sollte. Auf diese Weise wurde
z. B. der Quereinstieg erleichtert, Pensionär*innen eine Rückkehr an die Schule ermöglicht oder den Kolleg*innen an den Schulen angeboten, die vorhandenen Versorgungslücken über Mehrarbeit auszugleichen, mit der ein Arbeitszeitkonto angespart werden soll.

Tatsächlich gewinnt man auf diese Weise aber keine voll ausgebildeten Lehrkräfte, sondern erweitert einfach den Personenkreis, die (aktive) Lehrkräfte sein dürfen oder dehnt die Arbeitszeit der bereits in der Schule arbeitenden Kolleginnen und Kollegen aus. Was soll man auch machen, wenn es schlichtweg keine Lehrkräfte auf dem Markt gibt?

Und genau letztere Frage ist es, die verdeutlicht, dass die derzeitige Lage Ausdruck kollektiven Politikversagens ist. Denn kein Arbeitgeber verfügt über so sichere Prognosedaten, was die zukünftige Personalsituation angeht, wie die Landesregierung hinsichtlich des Lehrkräftebedarfs. Pensionswellen lassen sich mit einem Blick in die Personal-kartei voraussehen. Für die Vorausberechnung von Schülerinnen- und Schülerzahlen reicht ein Blick in die Geburtentafel.

Und so hätte man der momentanen Situation an den Schulen durchaus präventiv begegnen können: Als vor ein paar Jahren noch genügend Lehrkräfte auf dem Markt vorhanden waren, wäre es eine Leichtes gewesen, etwas über den Bedarf einzustellen. Zum anderen hätte man die Ausbildungskapazitäten erhöhen können. Aber diejenigen Lehrkräfte, die heute fehlen, hätten vor mindestens sieben Jahren mit ihrem Studium beginnen müssen. Und genau hier wird deutlich:

Die aktuelle Situation hat als Teil der damaligen Landesregierung auch die CDU und FDP zu verantworten. Insofern ist die gesamte Aufregung im Landtag (Überraschung auf der Seite der Regierung und Empörung auf der Seite der Opposition) mehr als geheuchelt. Die Gesamtsituation kam nicht vom Himmel. Sie ist das Ergebnis fehlender weitsichtiger Planung.

Wer als Landespolitiker*in das Wort „Unterrichtsversorgung“ und „Unterrichtsqualität“ im bevorstehenden Wahlkampf in den Mund nimmt, solltebefragt werden, wie ihr/sein Beitrag war, diese Entwicklung frühzeitig zu unterbinden.

Vermutlich wird Schweigen die Antwort sein.

Zum Thema der Unterrichtsversorgung und zum 17-Punkte-Plan der Landesregierung hat der Autor einen ausführlichen Hintergrundartikel verfasst, der online unter folgendem Link abgerufen werden kann:

http://bit.ly/2n8hs57

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen