Schulentwicklung in Friesland: Wohin mit der neuen IGS?

” Staubsauger- Effekt, schulpolitische Kannibalisierung, Sandwich-Schule” und ” Autosuggestion von Schulentwicklungsplanern”. Wortreich und sprachbilderstark ging es auf einer Informationsveranstaltung der SPD Varel am 21. Oktober in der Oberschule Varel zu. Thema war die Gründung einer weiteren Integrierten Gesamtschule ( IGS) im südlichen Friesland, die neben der sich im Aufbau befindenden IGS Schortens entstehen soll.

Schulentwicklung im LandkreisFriesland

Schnell wurde deutlich, dass es um die gesamte Schulentwicklungsplanung im Landkreis Friesland geht. Und die hat es in sich. Es gibt Sünden der Vergangenheit aufzuarbeiten: Im Hü und Hott der unterschiedlichen Landesregierungen wurden und werden auch in Friesland  bildungspolitische Grundsatzkämpfe ausgetragen, die  entweder die Gesamtschule verteufeln oder das gegliederte Schulsystem glorifizieren. Bis  2009  gab es  trotz eines erheblichem Elternwunsches keine Möglichkeit, die alle Bildungsgänge offen haltende IGS anzuwählen. Damals flammte die IGS Diskussion mit der erheblichen Unterstützung des jetzigen Wirtschaftsministers Olaf Lies wieder auf.  Aber die SPD in Friesland verhinderte  auch  vor rund 30 Jahren unter dem maßgeblichen Einfluss von Karl-Heinz Funke die Gründung einer friesischen IGS, die  in Oldenburg und Wilhelmshaven bereits existierte. Eine entsprechende Vareler Gesamtschulelterninitiative gab es nämlich damals schon . Auch die unter schwarz-gelb erfolgte Einführung von zwei Varianten von  Oberschulen  und der Außenstellen der Gymnasien waren ein untauglicher Versuch ,  den unabweisbaren massiven Elternwillen zu  Integrierten Gesamtschulen zu unterlaufen. Die Haupt- und Realschule Zetel hatte sich seinerzeit bewusst gegen eine Umwandlung in eine Oberschule entschieden , da sie sich programmatisch schon auf eine IGS vorbereitet hatte, während sich die ehemalige HS/OS Arngaster Straße in Varel  für eine schulzweiggebundene Oberschule mit Haupt- und Realschulschwerpunkt entschieden hat. Später hat auch sie einen Antrag zur Umwandlung in eine IGS gestellt.

Nun soll es aber soweit sein. Auch die Eltern und Kinder im südlichen Friesland sollen alternativ zum gegliederten Schulwesen eine wohnortnahe IGS erhalten. Hier soll eine” andere Pädagogik” mit Individualisierung,  Ganztagesbeschulung – möglichst in gebundener Form -, Zeit für Beziehungen und ohne Ziffernnoten praktiziert werden. Unabhängig davon, ob sie nun in Varel oder Zetel gegründet werden soll. Diese IGS soll keine eigene Oberstufe erhalten.

Lehren aus der Geschichte der Orientierungsstufe

Ein kurzer Blick zurück auf die Geschichte der Orientierungsstufe lehrt uns aber, das pädagogische Alternativen ohne Rahmenbedingungen, die diese Vision einer anderen Pädagogik erst möglich machen, zum Scheitern verurteilt sind.

Die OS in Niedersachsen wurde über die Jahre ihres pädagogischen Inhaltes beraubt, entkernt und zur Vorstufe des gegliederten Schulwesens degeneriert. Ihr Gründungsgedanke wurde ins Gegenteil verkehrt.

Bei der Neugründung von Integrierten Gesamtschulen sollte aus diesen Fehlern gelernt werden. Die Rahmenbedingungen für den besonderen Bildungsgang müssen stimmen. Eine eigene Oberstufe gehört dazu wie die räumliche und sächliche Ausstattung , wie die nötige Zeit für Beziehungsarbeit und wie die feste Einstellung von Sozialpädagogen

In den Niedersächsischen Integrierten Gesamtschulen wird in einem besonderen Bildungsgang mit einem ganzheitlichen pädagogischem Konzept das Abitur nach dreizehn Jahren vergeben, um die kontinuierliche Weiterentwicklung der Schülerpersönlichkeit mit Hilfe der Beziehungspädagogik zu ermöglichen. Bei der Gründung einer IGS ohne Oberstufe kann also von einer echten Alternative kaum die Rede sein. Diese IGS hätte man dann um ein Kernstück ihrer Pädagogik gebracht . Sie wäre wie ein Haus ohne Dach. In den Gymnasien beginnt die Oberstufe mit der Klasse zehn und das Abitur wird nach zwölf Jahren vergeben. Unabhängig davon, ob die zweite IGS in Zetel oder Varel eingerichtet würde, es müssten die Schülerinnen und Schüler , um das Abitur in der Oberstufe des Gymnasiums machen zu können, die zehnte Klasse im Gymnasium wiederholen.

Vorschlag der Kreisverwaltung: vierzügige IGS in Zetel ohne Oberstufe

Auf Vorschlag der Kreisverwaltung soll nun in einem sehr verkürzten formalen Verfahren, das gewählt wurde, um eine der begrenzten Genehmigungen zur Neuerrichtung von Integrierten Gesamtschulen zum 1.8.2014 in Hannover erhalten zu können, in Zetel eine IGS ohne Oberstufe entstehen. Die Außenstelle des Lothar  Meyer Gymnasiums in Zetel soll geschlossen werden und die IGS Schortens von sechs auf fünf Züge verkleinert werden. Dieser Vorschlag provozierte  eine außerordentlich lebhafte bildungs-und regionalpolitische Debatte, in der sich Lokalpatrioten, besorgte Eltern, Parteipolitiker,  Lehrkräfte, Kommentatoren von Zeitungen und der Landrat Sven Ambrosy zu Worte meldeten.

Die Verwaltungsvorlage ist eine Fleißarbeit und schlägt schließlich den kleinsten gemeinsamen Nenner unter Berücksichtigung aller erdenklichen Faktoren vor.  Nach den Angaben des Landrates  gebe es heute im Kreis 16000 Schülerinnen und Schüler, im Jahre 2018 seien es nur noch 13000: ” und danach geht die Entwicklung so weiter. Der Vareler Ratsherr Djure Meinen brachte es auf den Punkt: ” Man wird sich angesichts sinkender Schülerzahlen mit Standortschließungen beschäftigen müssen”. Er benutzte das Wort von der “Autosuggestion der Planer”. Besonders gefährdet ist der Standort Obenstrohe, für den auch nach korrigierten Zahlen 24 bis 36 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang prognostiziert werden.

Kurzfristig sollen also vermeintlich  alle Ansprüche befriedigt werden: keine Schulschließungen, kein Angriff auf die Gymnasien , Verschlankung der IGS Schortens bei einer Bestandsgarantie, Befriedigung des Elternwillens nach einer wohnortnahen IGS. Kein “Staubsaugereffekt” für die Friesische Wehde.

SPD und Grüne: IGS in Zetel und später in Varel

Die Mehrheitsgruppe aus SPD und Grünen im Kreistag hat sich kurz vor der entscheidenden Sitzung dazu entschlossen, den Vorschlag der Kreisverwaltung zur Gründung einer IGS in Zetel zum Schuljahr 2014/2015 um einen Arbeitsauftrag an die Verwaltung zu ergänzen : “Die mögliche Gründung einer IGS in Varel zum Schuljahr 2015/2016 vorzubereiten.” Es klingt wie die Quadratur des Kreises. Diese Lösung hätte aber auch seinen Charme. Denn nur so könnte realistischerweise eine eigene Oberstufe der IGS entstehen. Die Integrierten Gesamtschulen müssten  andere Schulformen ersetzen können. Schulschließungen wären dann aber nicht mehr zu umgehen.

 

 

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