Am 17. Januar 2018 werden vor dem Bundesverfassungsgericht vier Fälle verhandelt, mit denen die Frage auf der Tagesordnung steht:
Ist das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte noch rechtens?
Denn es gibt einen Widerspruch zwischen internationalem auch Deutschland bindendem Recht und der tradierten deutschen Rechtsprechung, die es Beamtinnen und Beamten verbietet zu streiken.
Die Frage „Darf man Beamten das Recht auf Kollektivverhandlungen und Streik verwehren?“ wird in allen demokratischen Staaten selbstverständlich mit „nein“ beantwortet – nur in Deutschland nicht! Hier lebt im Beamtenrecht die obrigkeitsstaatliche Fiktion fort, wonach der fürsorgliche Dienstherr seine Beamten so gut versorgt, dass ein gleichberechtigtes Aushandeln der Beschäftigungsbedingungen überflüssig wird.
„Wer verbeamtet ist, darf und muss nicht streiken“ – diese Auffassung vertreten konservative Juristinnen und Juristen in Deutschland bis heute. Diese Rechtsauslegung stützt sich auf Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“
Darin wird der Streik allerdings nicht verboten. Stattdessen werden „Grundsätze des Berufsbeamtentums“ angeführt, die zu regeln sind. Diese Grundsätze sind teils bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionen, die nie von einem Parlament beschlossen, sondern nur von Richtern und Rechtsgelehrten weiterentwickelt wurden. Sie ranken sich häufig um altmodisch anmutende Begriffe wie „besondere Treuepflicht“ oder „amtsangemessene Alimentation“. Dahinter verbirgt sich die Fiktion, Beamtinnen und Beamte würden nicht für eine bestimmte Leistung, die sie zu erbringen haben, bezahlt, sondern zu Monatsanfang der Würde ihres Amtes entsprechend ausreichend alimentiert, um sich unabhängig und frei von Existenzsorgen ganz der Amtsführung hingeben zu können.
Die GEW sagt, das ist nicht mehr zeitgemäß. Die GEW geht – wie das Völkerrecht und das internationale Arbeitsrecht – davon aus, dass es ein Menschenrecht auf Kollektivverhandlungen gibt. Teil dieses Menschenrechts ist das Recht, auch den Arbeitskampf als letztes Mittel anzuwenden. Als Menschenrecht wohnt es dem Menschsein inne und darf nur unter sehr eng umgrenzten Bedingungen eingeschränkt werden.
Die GEW fordert daher gemeinsam mit dem DGB die vollen Koalitionsrechte auch für Beamtinnen und Beamte. Seit den 1970er Jahren hat es immer wieder Streikaufrufe der Bildungsgewerkschaft an Beamtinnen und Beamte gegeben. In den vergangenen fünf Jahren sind rund 10.000 verbeamtete Lehrkräfte in verschiedenen Bundesländern Streikaufrufen der GEW gefolgt, meist als „Warnstreik“ für einige Unterrichtsstunden.
Was habe ich als Beamtin/Beamter vom Streikrecht?
Die Landesregierungen können die Arbeitsbedingungen der Beamtinnen und Beamten einseitig diktieren. Dadurch haben Beamtinnen und Beamte in der Vergangenheit viele Einschnitte hinnehmen müssen wie Einschränkungen beim Urlaubsgeld oder Erhöhungen der Arbeitszeit. Diese einseitige Bevormundung der Länder hat dazu geführt, dass sich die Arbeitsverhältnisse von Beamtinnen und Beamten immer weiter von den Tarifverträgen abgekoppelt haben. Und zwar gerade weil diese nicht streiken dürfen und sich daher auch nicht wirksam wehren können. Auch die Besoldung verbeamteter Lehrerinnen und Lehrer hat sich seit der Föderalismusreform 2006 immer weiter von den Tariferhöhungen entfernt. Inzwischen gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern, was die Besoldung von Lehrkräften angeht. Wenn Beamtinnen und Beamten das Recht auf Streik haben, können sie auch für ihre Interessen kämpfen und müssen das Diktat der Arbeitsbedingungen durch die Landesregierungen nicht länger hinnehmen.
Seit vielen Jahren wird die Bundesrepublik zudem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wegen des „Beamtenstreikverbots“ gerügt. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat bei seinem jüngsten Kongress 2013 zum wiederholten Mal dessen Abschaffung gefordert. Teil dieses Menschenrechts auf Kollektivverhandlungen ist das Recht, auch den Arbeitskampf als letztes Mittel anzuwenden.
Riskiert die GEW mit ihrer Klage den Beamtenstatus?
Nein. Für den Arbeitgeber, den „Dienstherrn“, hat der Beamtenstatus viele Vorteile: Er kann qualifiziertes Personal binden, über Bezahlung und Arbeitszeit allein entscheiden und entzieht sich den Kosten der Sozialversicherung. Am Ende entscheidet deshalb im Kern immer das Finanzministerium, ob verbeamtet wird oder nicht. Wenn Lehrkräfte knapp sind, werden sie mit dem Beamtenstatus gelockt. Wenn es mal wieder zu viele Lehrkräfte geben sollte, wird man sich – Streikrecht hin oder her – wieder verstärkt der Vorteile des „hire and fire“-Prinzips befristeter Angestellter erinnern.
Darüber hinaus hat der Dienstherr, der in der Regel gleichzeitig Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ist, in den vergangenen Jahren – trotz immer größer werdender Knappheit der Lehrkräfte – die Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtert:
- Die Arbeitszeit hat sich erhöht,
- die Besoldung wurde von den durch Streiks der Angestellten erkämpften Tariferhöhungen abgekoppelt,
- in vielen Ländern wurde das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen.
Dies ist die Konsequenz, wenn Beamtinnen und Beamte sich nicht gegen das einseitige Diktat der Landesregierungen zur Wehr setzen können. Erst mit dem Recht auf Streik werden verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer ihre Interessen stärker und besser vertreten können.
In Wahrheit wird das „besondere gegenseitige Dienst- und Treueverhältnis“ seit Jahren einseitig durch die öffentlichen Arbeitgeber ausgehöhlt: Beamtinnen und Beamte arbeiten in börsennotierten Unternehmen, hoheitliche Aufgaben werden von privaten Sicherheitsfirmen erledigt, in Verwaltungen und Schulen machen angestellte und verbeamtete Kolleginnen und Kollegen nebeneinander die gleiche Arbeit. Die Arbeitgeber spalten die Belegschaft in Beamtinnen und Beamte (die nicht streiken dürfen) und Angestellte. Das schürt Missgunst zwischen den Beschäftigten und schwächt damit deren Durchsetzungskraft.
Die GEW macht sich dafür stark, die Spaltung zwischen Angestellten und Beamtinnen und Beamten aufzuheben, damit beide Beschäftigtengruppen ihre Interessen mit dem Mittel des Streiks durchsetzen können.
In vielen europäischen Ländern gibt es im öffentlichen Dienst besondere Beschäftigungsverhältnisse, die denen des deutschen Beamtenstatus‘ ähnlich sind. Der Staat wie auch die Gesellschaft haben ein großes Interesse an qualifiziertem Personal und kontinuierlicher, zuverlässiger Erfüllung staatlicher Aufgaben. Das gewährleistet der Staat fast überall weniger durch Spitzengehälter als durch bessere soziale Absicherung. Doch kein anderer demokratischer Staat kommt auf die Idee, deshalb Grundrechte eines Teils seiner Beschäftigten außer Kraft zu setzen. Im Übrigen hat gerade die GEW in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie mit dem Instrument des Streiks durchaus verantwortungsvoll umgehen kann.
Darüber hinaus verbieten nach Auffassung von GEW, DGB und ver.di die Grundsätze des Berufsbeamtentums den Streik nicht. Im Gegenteil: Das Beamtenrecht kann und muss reformiert und die Treuepflicht neu interpretiert werden. Dadurch wird der Status der Beamtinnen und Beamte aber nicht aufgegeben: An den Anforderungen wie Loyalität, dem vollen beruflichen Einsatz oder der unabhängigen Wahrnehmung der Amtspflichten ändert sich nichts und damit auch nicht am Status der Beamtinnen und Beamten.
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