GEW Bundesverband lehnt Vollverschleierung im Unterricht ab

Sinnentstelltes Interview sorgte für heftige Reaktionen

Ende der letzten Woche machte ein Interview mit unserem Vorstandsmitglied auf Bundesebene Dr. Ilka Hoffmann Furore. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung  habe sie festgestellt, dass die Osnabrücker Entscheidung, eine Schülerin die Beschulung an einem Abendgymnasium zu verweigern, weil diese ihre Niqab nicht ablegen wollte, falsch sei. Sie plädiere in diesem Fall für Toleranz.

Mittlerweile hat sich nicht nur herausgestellt, dass die Süddeutsche Zeitung eine nicht autorisierte Interviewfassung veröffentlicht hat. Schlimmer ist, dass die abgedruckte Interviewfassung sinnentstellend ist. Der zentrale Satz von Ilka Hoffmann, das die GEW eine Vollverschleierung grundsätzlich ablehne, ist nicht abgedruckt worden.

Um deutlich zu machen, welche Aussagen tatsächlich vom Bundesverband gegenüber der Presse gemacht wurden, folgt hier das komplette Interview in der autorisierten Fassung. Weitere Informationen sind auf der Homepage des Bundesverbands zu finden.

Autorisierte Fassung des SZ-Interviews

Warum halten Sie den Ausschluss einer vollverschleierten Schülerin für den falschen Weg?

Ilka Hoffmann: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lehnt eine Vollverschleierung ab. Aber wenn wir an die Schülerinnen, die Burka oder Niqab tragen (müssen), rankommen und mit ihnen und ihren Eltern in einen Dialog kommen wollen, dann müssen wir sie in der Schule haben. Einen Ausschluss vom Unterricht halte ich für problematisch. Außerdem: Wenn der Gesichtsschleier auf einen Weg in Richtung Radikalisierung hindeutet, dann verstärken wir diesen Prozess, weil dann die einzigen Leute, die eine junge Frau akzeptieren, die sind, die extreme Positionen beziehen. Ein weiterer Punkt ist die Schulpflicht. Auch eine Jugendliche, die eine Ganzkörperverschleierung trägt, ist schulpflichtig und wir sind verpflichtet, sie in die Schule zu bringen. Das gilt jedoch nicht in dem konkreten Fall einer Schülerin aus Osnabrück, da diese ein Abendgymnasium besuchen wollte.

 Die Neue Osnabrücker Zeitung zitiert Sie, dass nur der Unterricht das notwendige Selbstbewusstsein fördern kann, um sich gegen eine erzwungene Verschleierung zu stellen. Wie kann der Unterricht das leisten?
 Schule ist nicht nur Unterricht, sondern auch Begegnung zwischen Gleichaltrigen. Man schließt Freundschaften und tauscht sich aus. Das ist eine Möglichkeit, andere Weltsichten kennenzulernen und aus dem starren Korsett einer Familie rauszukommen. Und natürlich kann ich auch über Leistung Selbstbewusstsein erlangen. Wenn wir dann hören, dass viele Mädchen aus sehr streng konservativen Familien frühzeitig aus der Schule rausgenommen werden, dann ist es ganz wichtig, dass sie eine gute Bildung haben, um über ihre Lebenssituation reflektieren zu können.

Bildung als Weg zur Autonomie als Schlagwort?

Ja. Wenn es gelingt, in einen wertschätzenden Dialog zu kommen, ist das ein Weg, sich zu emanzipieren.

Wie sollten sich Schulen und ihr Lehrpersonal in so einem Fall verhalten?

Es ist völlig schräg, dass die Schulen hier allein gelassen werden. Das muss von der Schulbehörde breit diskutiert werden. Die Kultusministerien sind in der Pflicht, für Rechtssicherheit zu sorgen. Die Entscheidung über eine Frage, die in unserer Gesellschaft emotional so aufgeladen ist, kann man nicht der einzelnen Schule aufbürden.

 Wie kann sich der Dialog von dem Sie sprechen gestalten?
 Man muss versuchen zu verstehen, warum jemand einen Ganzkörperschleier trägt. Dazu brauche ich eine Vertrauensbasis. Wenn diese aufgebaut ist, können die Lehrkräfte das Gespräch suchen und auf der Grundlage von Wertschätzung vermitteln, dass diese Bekleidung nicht der Vorstellung der Schule in einer demokratisch verfassten Gesellschaft, in der die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ein sehr hohes Gut ist, entspricht. Ich will aber auch ganz deutlich machen, dass wir über Einzelfälle sprechen.

Werden hier Debatten aus politischem Kalkül hochgekocht?

Ja. Wir haben ein Problem mit massiver Gewalt, auf das wir keine Antwort haben. Und hier haben wir einen Nebenschauplatz, den man nutzen kann, weil er für die Politik relativ unschädlich ist. Es trifft schwache Glieder der Gesellschaft. Nämlich bereits ziemlich entrechtete junge Frauen und Mädchen.

 Werden beim Thema Integration von Schulen Leistungen verlangt, die diese gar nicht leisten können?
Themen wie Einwanderung wurden zu lange ausgesessen. Was jetzt passiert, geschieht mit einer gewissen Verzögerung. Wir haben einen Fachkräftemangel an Schulen, einen Mangel an Ausstattung und auch ein Defizit in der Ausbildung der Lehrkräfte mit Blick auf Fragen der Multikulturalität, -aber beispielsweise auch auf die Mehrsprachigkeit. Und wenn ich jetzt höre, die Schule muss ohne Rückendeckung des Ministeriums Entscheidungen treffen, bedeutet das, sie soll Verantwortung für Fragen übernehmen, vor deren Beantwortung sich die Politik gedrückt hat.

Warum gibt es den Reflex viele Leistungen von den Schulen einzufordern?

Sie sind der Ort, an dem Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihres Tages verbringen. Damit ist sie eine wichtige Sozialisationsinstanz. Einflüsse kommen nicht nur von den Lehrkräften, sondern in großem Maße auch von den Mitschülerinnen und Mitschülern: Beispielsweise in der Frage, wie Geschlecht definiert wird, aber ebenso, welche Moden vorherrschen. Gesellschaftliche Probleme spiegeln sich auch in der Schule wider. Hinzu kommt, dass vieles, was in unserem Staat falsch läuft, auf die Lehrkräfte projiziert wird. Deshalb brauchen die Pädagogen mehr Rückendeckung, damit sie ihre fraglos schwierige gesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen können.

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