Schulgeschichte als gewerkschaftliche Aufgabe

von Josef Kaufhold

In den 2020er Jahren scheint es kaum notwendig zu erklären, was geschieht, wenn der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Die Hinweise sind allzu deutlich. Aber was bedeutet es, aus der Geschichte zu lernen?

Voraussetzung ist, dass Geschehnisse, Strömungen und Entwicklungen authentisch und nachvollziehbar aufgezeichnet werden, die späterhin einer Auswertung als Basis dienen können. Diese Auswertungen ermöglichen dann eine Zusammenschau, die im zeitlichen Abstand neue Erkenntnisse liefern kann.

Als der Historiker und Preußen-Kenner Johannes Kunisch 2004 eine weitere Friedrich II.-Biografie den vielen hinzufügte, betonte er: „Die Geschichtsforschung hat von den Kulturwissenschaften gelernt (…), daß Vergangenheit nicht als solche und ein für alle Mal im Gedächtnis der Nachwelt bewahrt werden kann, sondern von der jeweiligen Gegenwart her nach Maßgabe aktueller Sinnbedürfnisse, neuer Relevanzkriterien und sozialer Rahmenbedingungen ‚rekonstruiert‘ wird.“[1]

Und er zitierte Johann Gustav Droysen (1808-1884):

„Jede Gegenwart hat das Bedürfnis, sich ihr Gewordensein, ihre Vergangenheit von neuem zu rekonstruieren, d.h. in dem Licht der gewonnenen Erkenntnis, gleichsam von einem höheren Standpunkt aus, mit um so weiterem Horizont das, was ist und so geworden ist, zu begreifen.“[2]

Auf die Arbeit an der Schulgeschichte bezogen bedeutet das:

Entwickelt die Pädagogik Ideen, die zu fehlgeleitetem Handeln führen, so gilt es diese ebenso aufzuarbeiten wie die Wertung besonders fördernder Strömungen. Die hohe Bedeutung des Aspektes der Geschichte der Pädagogik erkannte der Herbartschüler Karl Volkmar Stoy (1815-1885) und propagierte eine Einteilung der grundlegenden Wissenschaft in philosophische, historische und praktische Pädagogik. Die erste Aufgabe der historischen Pädagogik sah er in der umfassenden Erhebung des Ist-Zustandes – quasi einer „Statistik“ gleich – zur Wertung des bereits Zurückliegenden. K.V. Stoy führte aus: „Das Bedürfnis, welchem die historische Pädagogik dienen soll, verlangt vor Allem Kenntniss des gegenwärtigen Momentes, an welchen der zukünftige soll angeknüpft werden, führt somit zunächst auf eine pädagogische Statistik. Da indessen die Gegenwart nur kann verstanden werden als Resultat der Vergangenheit, so wendet sich das Interesse weiter rückwärts zu vergangenen Jahren und Jahrhunderten, somit zu einer historischen Pädagogik im eigentlichen Sinne.“[3]

Einige Hochschulen folgen noch heute dem Beispiel Stoys und führen entsprechende Arbeitsbereiche[4], andere, auch sehr geschichtsbewusste, würdigen diesen Aspekt nur noch in einzelnen Vorlesungen, verzichten aber auf einen eigenständigen Bereich.   

Aus der Sicht der Gewerkschaft aller Pädagoginnen und Pädagogen, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit politischer Zielsetzung vorerst in Vereinsform[5] gründete und zu entscheidender Aufwertung des Berufes beitrug, bedeutet dies: Unsere Geschichte ist Grundstein von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Es ist unsere Aufgabe, sie aufzuzeichnen, der Nachwelt zu erhalten, selbstkritisch zu werten und gerade heute mit Breitenwirkung zu präsentieren. In einer Zeit, in der der Einfluss der Gewerkschaften durch Einengungen und Mitgliederverluste im Prozess der Gestaltung von Gesellschaft in Bedrängnis geraten sind, ist die Pflege des Selbstbildes berufsbezogen, aber auch öffentlichkeitswirksam von Bedeutung. Dazu ist es wichtig, dass wir dieses Selbstbild durch die aktive Auseinandersetzung mit der Schulgeschichte, mit der Frage nach unserer Herkunft und den Zielen, die wir angestrebt haben und noch anstreben, selbst klären und in die Diskussion bringen.

Die Stiftung Schulgeschichte des GEW-Bezirksverbandes Weser-Ems trägt diese Aufgabe, sie entstand aus diesen Grundgedanken heraus. Die impulsgebenden Gründungsorganisationen – der Oldenburger Lehrer- und Lehrerinnenverein, der Ostfriesische Lehrerverein und der Bezirkslehrer- und -lehrerinnenverein Osnabrück – gaben 1979 diesem Auftrag den Rahmen. In der Präambel der Satzung heißt es: „Die Stiftung Schulgeschichte des Bezirksverbandes Weser-Ems der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Aufgabe, Forschungen zur Geschichte der Schule und ihrer Lehrerschaft und die Verbreitung von Kenntnissen dazu im Weser-Ems-Raum anzuregen und zu fördern. Entsprechende Arbeiten und Veröffentlichungen sollen unterstützt werden.“[6]

In einer der ersten Veröffentlichungen des Schriftenreihe Schulgeschichte hieß es: „Geschichte der Schule war – wenn sie überhaupt geschrieben wurde – meistens Staats- und Ländergeschichte, Geschichte der Schulorganisation und Schulverwaltung, nicht zuletzt also Geschichte staatlicher Machtpolitik. Regionale Schulgeschichte stellt den Betrachtungswinkel enger. Dadurch rücken die Einzelheiten und die vor Ort handelnden Personen deutlicher ins Bild. (…) Noch mehr fehlt es an solchen Darstellungen für das Elementar – und Volksschulwesen, zumal auf dem Lande und in unserer Nord-West-Region zwischen Weser und Ems. Vieles von dem ist in Orts- und Schulchroniken, Kirchenbüchern, privaten Sammlungen persönlichen Erinnerungen festgehalten. Diese Dokumente sind eng mit den Schicksalen von Personen verbunden. Sie und die Lebensbedingungen der Lehrer, Schüler und Eltern für die wissenschaftliche Geschichtsschreibung zu erschließen, darin sehen wir eine der wichtigsten Aufgaben für die Arbeit an der regionalen Schulgeschichte.“[7]

Seither ist eine Reihe schulgeschichtlicher Themenbände erarbeitet und aufgelegt worden (s. Übersicht). Der Arbeitskreis, der offen ist für alle an schulgeschichtlichen Aspekten Arbeitenden, tagt seither regelmäßig vier Mal im Jahr. Zu jeder Tagung hält ein Mitglied einen Vortrag zu einem Thema, das derzeit behandelt wird. Angestrebt ist, dass einmal jährlich eine ganztägige Veranstaltung zu einem relevanten Themenbereich durchgeführt wird. Derzeit ist eine Veröffentlichung zum Thema Schulreformen in Niedersachsen nach 1945 in Arbeit.

Übrigens: Aus den Aktivitäten des Kreises heraus entstand das Ostfriesische Schulmuseum Folmhusen, das in der Zwischenzeit das Gütesiegel des Museumsverbandes Niedersachsen und Bremen erhielt.

Wer mitarbeiten möchte, melde sich bitte unter:    Schulgeschichte@web.de


[1]Johannes Kunisch: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit. München 2004, S. 9.

[2]Johann Gustav Droysen: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte. (Hrsg.: Rudolf Hübner), München (3. Aufl.) 1958, S. 83.

[3]Karl Volkmar Stoy: Encyklopädie der Pädagogik. Leipzig 1861, S. 110.

[4] Z.B. Goethe-Universität Frankfurt: Arbeitsbereich des Instituts für allgemeine Erziehungswissenschaft. Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung (WEI) Fachbereich 04.  Quelle: https://www.uni-frankfurt.de/55802110/Theorie_und_Geschichte_von_Erziehung_und_Bildung__WEI zuletzt gesehen 14.07.2019.

[5]Siehe Adolph Diesterweg: Die allgemeinen Bedingungen des Gedeihens der Lehrervereine (1840). Abdruck in: E. von Sallwürk: Adolph Diesterweg. Darstellung seines Lebens und seiner Lehre und Auswahl aus seinen Schriften. Langensalza Verl. Hermann Beyer & Söhne 1899, Bd. 2, S. 3 ff.

[6]Satzung der Stiftung Schulgeschichte des Bezirksverbandes Weser-Ems der GEW, Stand 6.1.1993, § 1.

[7]Vorwort zu August Fryen: Vom Lehrerverein im altern Regierungsbezirk Osnabrück zur Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 1837-1979. Oldenburg, 1988 (Regionale Schulgeschichte 1)